Assange frei. Manning frei. Doch wie steht es um das Internet?

Schweden lässt das Verfahren gegen Assange fallen. Aufatmen – ein guter Tag für das freie Internet sollte man meinen. Doch was das genau für Assange selbst heisst bleibt offen. Ob er nun die ecuadorianische Botschaft verlassen kann, das darf bezweifelt werden. Schließlich wird Assange nicht nur von Schweden, sondern auf von England und den USA gesucht. Es war jedoch nach der Freilassung von Chelsea Manning am Mittwoch bereits die zweite große positive Meldung in Bezug auf das freie Internet. Diese Nachrichtenlage macht sofort misstrauisch. Vor allem wenn man weiss, dass das freie Internet nie so bedroht war  wie heute.

Es ist wohl nicht übertrieben in der aktuellen Welt des Internets von Informationskriegen zu sprechen. Noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit trafen so viele sich widersprechende Narrative offen aufeinander, wurde in Kommentarspalten derart kontrovers diskutiert und schlossen sich in Gruppen unterschiedlichster Weltbilder virtuell zusammen. Das digitale Zeitalter hat das Kommunikationsverhalten des Menschen disruptiv verändert und uns vor Augen geführt, wie zerbrechlich unsere Narrative und Weltansichten sind. Dieser Selbstreflexionsmechanismus ist längst nicht mehr aufzuhalten und führt zu einem kollektiven Wandel von der Wahrnehmung dessen, wie Meinungen, Interessen und Narrative die Welt im Griff haben. In der Leak-Kultur von Heute zählt längst nicht allein die Faktizität, sondern auch die Frequenz, emotionale Resonanz und Glaubwürdigkeit. Der Rezipient steht inmitten dieses Spannungsfeldes mit wachsendem Misstrauen und einem zunehmenden Entschleunigungsbedürfnis.

Eine Gesellschaft braucht in grundlegenen Fragen einen Konsens um gemeinsam in eine Richtung zu blicken. Dieser kommt der westlichen Welt mehr und mehr abhanden und man beobachtet seit geraumer Zeit krampfhafte Bemühungen die scheinbar „Bekloppten“ wieder auf Kurs zu bringen. Die neuesten Nachrichten um Manning und Assange sollen andeuten, dass man in einer liberalen Kultur lebt, in der die Meinungsfreiheit hochgehalten wird. Durch Kampfbegriffe wie „Verschwörungstheoretiker“ geraten andererseits all jene unter sozialen Druck, die alternative Thesen vertreten – selbst, wenn diese auf Basis von Fakten nüchtern vorgetragen werden, wie im Falle von Lüders. A propos Assange – auch der Fall Seth Rich, ein Mitarbeiter des demokratischen Parteizentrums, der mutmaßlich die Clinton Emails an Wikileaks weitergeleitet haben soll und kurze Zeit später ermordert wurde wurde indirket von Assange als Informant bestätigt:

 

Echo in der Presse darauf? Nahezu null. Offiziell wird diese These direkt als Verschwörung abgestempelt, da sie der #RussiaGate Kampagne den Wind aus den Segeln nimmt. Doch auch in weniger heiklen Themen werden immer wieder Meinungen bewusst diskreditiert, so wurde beispielsweise über den linken Kandidaten Mélenchon in der Frankreichwahl nahezu gar nicht berichtet in den deutschen Mainstreammedien, während der neoliberale Macron als Heilsbringer hochstilisiert wurde. Vielmehr wurde Mélenchons Programm für ein sozialeres Europa als Europafeindlich abgewatscht, ähnlich wie man die Vorschläge der Linken in Deutschland stets als unrealistisch, fantastisch und utopisch betitelt. Das Wort Alternativlos wurde zwar zum Unwort des Jahres 2010 gewählt, tatsächlich erleben viele die aktuellen Entscheidungen aber immer wieder als alternativlose Wahl des geringeren Übels. So haben Macron nur ein Drittel seiner Wähler unterstützt, währenddessen zwei Drittel lediglich LePen verhindern wollten. Das ist ein trauriger Negativrekord, der den Alternativlos-Trend unterstreicht.

Das nächste Kapitel des Informationskrieges

In all dieser medialen Selbstzerstörung, bei der die einst so vertrauenswürdigen Blätter wie Spiegel und Zeit mittlerweile auf Boulevardniveau über Trump berichten ohne journalistische Recherche, ohne Trennung von Fakt und Vermutung, von Kommentar und Nachricht – in diesem Strohfeuer des Informationskrieges wird nun das nächste Kapitel aufgeschlagen. Manch einer wird es vielleicht schon geahnt haben als er las, dass das analog Fernsehen abgeschafft werden wird. Diese Dinosaurier der Medienlandschaf möchten nun gern noch Wörtchen mitreden und haben begonnen von Youtubern lizenzgebühren zu verlangen, weil man als Rundfunkanbieter gilt, wenn man nach dem Rundfunkstaatsvertrag zu viele Leute mit seinen Livestreams erreicht und ein journalistisches Angebot hat. Das bedeutet im Klartext: Ein Youtube Channel mit einem regelmäßigen Angebot und/oder einem Livestream, welcher mehr als 500 Leute erreichen kann, muss eine Gebühr von 5000€ bis 10000€ zahlen um sich eine Rundfunklizenz zu sichern. Damit aber noch nicht genug – zudem braucht er auch einen Jugendschutzbeauftragten und einen Programmdirektor – also zwei Angestellte. Selbstredend, dass dies das Todesurteil unabhängiger kleiner Channels wäre. Auch recht bekannte Channels wie Tilo Jung, Ken FM und mehr wären vermutlich in finanzieller Bedrängnis.  Als Probanden für dieses Vorgehen hat man sich Leute aus der Gamingbranche ausgesucht, vielleicht weil man besonders wenig Widerstand erwartet.

Derzeit läuft das Gerichtsverfahren und entscheidet, ob das rechtens ist – sollte sich dieses Vorgehen als legitim erweisen dürfte daraus aber schnell ein Politikum werden, denn es wäre schlichtweg Zensur jenes Internets, das wir alle lieben. Betroffen wären dann neben Youtube sämtliche Multimedia-Streaming Dienste wie z.B. auch Facebook Live, Twitter und Instagramm.

Auch auf anderen Fronten sieht man, wie man am freien Internet sägt. So schreibt Netzpolitik:

Der 20. April war ein schlechter Tag für die Netzneutralität in den Niederlanden, sowie auch insgesamt in Europa. Der Gerichtshof in Rotterdam kippte das allgemeine Verbot der Preisdiskriminierung, einschließlich des Zero-Ratings, wie es das niederländische Telekommunikationsgesetz vorsah. Das Gericht urteilte, dass die kategorische Ablehnung von Preisdiskriminierung „eindeutig“ die europäische Verordnung zur Netzneutralität verletzt.

(…)

In Zukunft wird es wahrscheinlich so laufen, dass große Unternehmen die genügend Kapazitäten haben, in der Lage sein werden, die Bedingungen der Telekom zu erfüllen und damit in einen Kreis der kostenfrei vermittels Zero-Rating zugänglichen Dienstleister aufgenommen werden. Bei Inanspruchnahme von kleineren, neueren, innovativeren oder ausländischen Diensten dagegen werden die Kosten auf die Nutzer abgewälzt werden.

Ein herber Schlag für alle, die sich für die Netzneutralität einsetzen. Wenn man noch weiter schaut, dann wird einem schwindelig, wie massiv derzeit an den Rechten der User geschröpft wird:

  • Ein neues Personalausweis-Gesetz Bundestag erlaubt massenhaften Zugriff auf Passfotos.
  • Heiko Maas verabschiedet per Schnellverfahren ein Gesetz zur Zensur in den sozialen Medien.
  • Zweifelhafte Portale mit Investoren und klar erkennbaren Interessenskonflikten (correctiv.org) übernehmen die Beurteilung von Fake News.
  • Die Polizei soll bald flächendeckend Computer und Smartphones hacken dürfen, bei ganz normaler Alltagskriminalität. Das geht aus einem Gesetzentwurf der großen Koalition hervor, den wir veröffentlichen.

Es liesse sich hier leider noch einiges mehr anführen, doch für den Otto-Normal Surfer bleibt wohl hängen:

Chelsea Manning ist frei. Assange nicht mehr angeklagt. Das freie Internet gerettet.

Schöne neue Welt.

 

 

 

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