Was ist eigentlich aus Fukushima geworden?

Fukushima Pazifik

Heute ist in der Zeit ein Interview mit dem Radioökologen Georg Steinhauser erschienen, welches behauptet die Lage in Fukushima sei „gut“ und unter Kontrolle. Es wird sogar von einer „bautechnischen Meisterleistung“ gesprochen. Ein erschreckend unkritischer Artikel, der den Leser beruhigen soll, tatsächlich aber eher das Gegenteil bewirkt. Vor allem wenn man beispielsweise einen Bericht des Guardian vom Februar 2017 liest, nachdem die Strahlenwerte von Reaktor 2 ein neues Hoch von 530 Sievert pro Stunde erreicht haben.

Es ist ein undankbares Thema, wenn man die Arbeit der Schadensbegrenzer von Tepco huldigen soll. Zu groß ist die Katastrophe, zu unberechenbar die Langzeitfolgen. Der Artikel der Zeit erweckt nun gerade diesen Eindruck, er wirkt wie ein Euphemismus auf die Atomkraft. Schon die Berufsbezeichnung „Radioökologe“ wirkt in diesem Zusammenhang verharmlosend. Dies ist kein Einzelfall, so liest man öfter von scheinbar positiven Meldungen aus Fukushima:

Fukushima: Die Strahlung ist nicht das Schlimmste | ZEIT ONLINE

www.zeit.de › Wissen

28.02.2013 – Psychische Krankheiten gefährden sie mehr als Radioaktivität. … Fraglich ist, ob die Statistiken künftig überhaupt zusätzliche Krebsfälle …

Fukushima: Fische kaum noch radioaktiv belastet – SPIEGEL ONLINE

www.spiegel.de › Wissenschaft › Natur › Fukushima

02.03.2016 – Fukushima: Fische kaum noch radioaktiv belastet … Anhand eines statistischen Modells erstellten sie ein Schema der räumlichen und …

Das bestätigt auch die Leitlinie des Interviews: Die Krankheiten sind nicht so schlimm wie befürchtet, die Radioaktivität im großen und ganzen unter Kontrolle und die Region bald wieder bewohnbar.

Fukushima unter Kontrolle?

Ganz anders liest es sich auf der spezialisierten Seite „Fukushima-disaster.de“:
(07.03.2017) Die havarierten Atomreaktoren des AKW Fukushima Dai-ichi sind weiterhin nicht unter Kontrolle. Im Inneren der Reaktorkerne wurden kürzlich so hohe Strahlenwerte gemessen, dass ein Mensch dort nach wenigen Minuten sterben würde. Die Bergung der geschmolzenen Brennstäbe wird vermutlich für viele Jahrzehnte nicht möglich sein, so dass die maroden Kraftwerksgebäude bei zukünftigen Naturkatastrophen eine hohe Gefahr für die gesamte Region darstellen.
Auf das Krebsrisiko angesprochen sagt Georg Steinhauser in der Zeit:
Es wird durch Fukushima Krebstote geben. Die Strahlendosen sind jedoch so niedrig geblieben, dass es unmöglich ist, zu sagen, welche Krebsfälle tatsächlich auf den Unfall zurückzuführen sind. Statistisch werden sie wohl nie auffällig werden.
Fukushima-disaster schreibt dazu:
In Japan sind im Laufe der nächsten Jahrzehnte knapp 10.000 zusätzliche Krebsfälle zu erwarten, selbst wenn man mit den geschönten UNSCEAR-Zahlen und konservativen Risikofaktoren rechnet. Nutzt man andere Daten und modernere, realistischere Risikofaktoren, kommt man auf deutlich höhere Zahlen, etwa bis zu 66.000 zusätzlichen Krebsfällen, ca. die Hälfte davon mit tödlichem Verlauf.
In Deutschland hatten wir 2012 477.950 Menschen, die neu an Krebs erkrankten. In Japan waren es sogar über 800.000.Die Krebsrate steigt dabei seit den 70er Jahren weltweit dramatisch an. In Japan ist bis 2012 folgender Verlauf zu verzeichnen:

Dem gegenüber erscheinen 66.000 nicht ganz so dramatisch, wie man vielleicht zunächst vermutet hätte. Dass die Folgen von Fukushima jedoch statistisch nie auffällig werden ist entweder naiv oder verschleiernd, denn vergleich man diesen Wert mit dem von 2012 so fällt dies deutlich ins Gewicht:

 Zudem ist die Mortalitätsrate bei den durch Fukushima bedingten Krebsfällen doppelt so hoch wie bei anderen Krebserkankungen (50% anstelle von 25%).
Der IPPNW Report kommt zu folgendem Ergebnis:
Unabhängig davon, welchen Dosisschätzungen, Lebenszeit-
Hochrechnungen oder Risikofaktoren man am ehesten Glauben
schenkt – klar ist, dass es aufgrund der freigesetzten Radioak tivität in den kommenden Jahrzehnten in Japan zu einer nicht
unerheblichen Zahl von Krebserkrankungen kommen wird –
Leukämien, Lymphome und solide Tumorerkrankungen, deren
Zusammenhang mit der Atomkatastrophe von Fukushima im
Einzelfall nicht beweisbar sein wird.
Noch immer kommt es zu weiteren radioaktiven Kontaminationen der Umgebung:
[11.01.2016] Jahre nach dem Atomunfall in Fukushima wurden wiederholt größere Mengen an Radioaktivität durch die Luft fortgetragen und führten zu Kontaminationen in Gebieten nördlich des Atomkraftwerks, die zuvor vergleichsweise gering kontaminiert waren. Das haben Analysen von drei Luftfilterstationen ergeben, die von einer europäisch-japanischen Forschergruppe in der Zeit von Oktober 2012 bis März 2014 durchgeführt wurden.

Gesamter pazifischer Ozean verseucht?

 
Besorgniserregend ist eine Meldung die seit einer Weile im Internet kursiert und verkündet, der gesamte pazifische Ozean sei verseucht. Diese ist jedoch eine Falschmeldung.
Der „Radioökologe“ Georg Steinhauser sagt im Zeit Interview, dass nur 3% der Verstrahlung im pazifischen Ozean durch Fukushima verursacht ist und 97% durch Atombombentests in den 50er und 60er Jahren. Dadurch wird auch hier ein verharmlosender Eindruck erweckt.
Schauen wir in aktuellen Berichten bei Greenpeace lesen wir folgendes:
Wie viel Radioaktivität bei dem dreifachen Super-GAU auf einen Schlag ins Meer gelangte, ist unbekannt. Schätzungen bewegen sich zwischen fünf und 90 Petabecquerel (PBq), die meisten liegen im Bereich von 15 bis 30 PBq. Ein Petabecquerel sind eine Billiarde Becquerel, eine Zahl mit 15 Nullen. Von Mai 2011 bis Ende 2014 flossen laut AKW-Betreiber Tepco mit dem kontaminierten Kühlwasser weitere 33 TBq (Terabecquerel) Cäsium ins Meer – 33 Billionen Becquerel. Zum Vergleich: Das größte Atomkraftwerk der EU, Gravelines in Nordfrankreich, setzte 2008 mit seinen sechs Reaktoren im Routinebetrieb 0,000066 TBq Cäsium-137 frei. Ein Verhältnis von 1: 500.000.
„Fukushima hat als Einzelereignis weltweit die bisher größte radioaktive Belastung des Meeres verursacht“, sagt Heinz Smital, Kernphysiker und Greenpeace-Experte für Atomkraft. „Nur den riesigen Ausmaßen des Pazifiks ist zu verdanken, dass die Kontamination des Ozeans nicht deutlich höher ist.“
Die Greenpeace-Messungen vom Februar und März 2016 weisen am Meeresboden 52 bis 120 Becquerel pro Kilogramm (Bq/kg) aus. Vor dem Super-GAU waren es 0,25 Bq/kg.
(…)
An der Mündung des Abukuma-Flusses (Präfektur Miyagi) maß das Greenpeace-Team eine Belastung von 260 bis 5.500 Bq/kg. Am Ufer der Flüsse Niida und Ota waren es 920 bis 25.000 Bq/kg. Die Belastung ist also um ein Vielfaches höher als am Meeresgrund.
Die Fukushima Katastrophe ist und bleibt eine akute Katastrophe.  Anders als der Zeit Artikel kommt Greenpeace zu folgendem Fazit:
„Für die Menschen in Fukushima gibt es auch mehr als fünf Jahre nach dem Atomdesaster keine Normalität“, sagt Smital. „Die Katastrophe dauert an. Die japanische Regierung ist weit davon entfernt, Fukushima unter Kontrolle zu haben.“

Grenzwerte der Strahlenbelastung

In Deutschland sind wir etwa 1 bis 10 mSV pro Jahr ausgesetzt. Bei einer Strahlenbelastung von 20 mSV pro Jahr hätte man innerhalb von 50 Jahren eine leichte Strahlenkrankheit.
Auf dieser Karte kann man sich die aktuelle atmosphärische Strahlenbelastung in Japan ansehen:
Die Angaben sind hier in  der Einheit µSv/h dargestellt, wobei ein Wert von >2,3 µSv/h die zulässigen Grenzwerte von 20mSV/Jahr übersteigt. (Tausender werden hier mit Komma dargestellt – 1,000).
Um 1 Sievert aufzunehmen (entspricht einer leichten Strahlenkrankheit) müsste man sich 1 Stunde in einem Bereich mit 114,077 116 130 5   µSv/h aufhalten. Das heisst ca. 11 Jahre in einem stark verstrahlten Bereichen (>10µSv/h). (Angaben ohne Gewähr, auf Basis eigener Berechnungen).
Die hier gemessene athmosphärische Belastung ist hierbei jedoch naturgemäß deutlich geringer als die Belastungen im Boden. Eine Strahlenkrankheit kann sich direkt einstellen, wenn man beispielsweise kontaminiertes Gemüse isst oder kontaminiertes Wasser trinkt. Auch sind viele Wechselwirkungen noch nicht klar und nur schwer statistisch zu erfassen.
Gesundheitliche Folgen werden auf Wikipedia so dargestellt:
Äquivalentdosis Bewertung Symptome
bis 0,2 Sv Mögliche angenommene Spätfolgen: Krebs, Erbgutveränderung. Diese zählen nicht zur Strahlenkrankheit im eigentlichen Sinne; sie sind stochastische Strahlenschäden (siehe Strahlenrisiko).
0,2 bis 0,5 Sv Keine Symptome, nur labortechnisch feststellbare Reduzierung der roten Blutkörperchen.
0,5 bis 1 Sv Leichter „Strahlenkater“ mit Kopfschmerzen und erhöhtem Infektionsrisiko. Temporäre Sterilität beim Mann ist möglich.
1 Sv bis 2 Sv leichte Strahlenkrankheit 10 % Todesfälle nach 30 Tagen (Letale Dosis (LD) 10/30).Zu den typischen Symptomen zählen – beginnend innerhalb von 3 bis 6 Stunden nach der Bestrahlung, einige Stunden bis zu einem Tag andauernd – leichte bis mittlere Übelkeit (50 % wahrscheinlich bei 2 Sv) mit gelegentlichem Erbrechen. Dem folgt eine Erholungsphase, in der die Symptome abklingen. Leichte Symptome kehren nach 10 bis 14 Tagen zurück. Diese Symptome dauern etwa vier Wochen an und bestehen aus Appetitlosigkeit (50 % wahrscheinlich bei 1,5 Sv), Unwohlsein und Ermüdung (50 % wahrscheinlich bei 2 Sv). Die Genesung von anderen Verletzungen ist beeinträchtigt, und es besteht ein erhöhtes Infektionsrisiko. Temporäre Unfruchtbarkeit beim Mann ist die Regel.
2 Sv bis 3 Sv schwere Strahlenkrankheit 35 % Todesfälle nach 30 Tagen (LD 35/30).Erkrankungen nehmen stark zu und eine signifikante Sterblichkeit setzt ein. Übelkeit ist die Regel (100 % bei 3 Sv), das Auftreten von Erbrechen erreicht 50 % bei 2,8 Sv. Die Anfangssymptome beginnen innerhalb von einer bis sechs Stunden und dauern ein bis zwei Tage an. Danach setzt eine 7- bis 14-tägige Erholungsphase ein. Wenn diese vorüber ist, treten folgende Symptome auf: Haarausfall am ganzen Körper (50 % wahrscheinlich bei 3 Sv), Unwohlsein und Ermüdung. Der Verlust von weißen Blutkörperchen ist massiv, und das Infektionsrisiko steigt rapide an. Bei Frauen beginnt das Auftreten permanenter Sterilität. Die Genesung dauert einen bis mehrere Monate.
3 Sv bis 4 Sv schwere Strahlenkrankheit 50 % Todesfälle nach 30 Tagen (LD 50/30).Nach der Erholungsphase treten zusätzlich folgende Symptome auf: Durchfall (50 % wahrscheinlich bei 3,5 Sv) und unkontrollierte Blutungen im Mund, unter der Haut und in den Nieren (50 % wahrscheinlich bei 4 Sv).
4 Sv bis 6 Sv schwerste Strahlenkrankheit 60 % Todesfälle nach 30 Tagen (LD 60/30).Die Sterblichkeit erhöht sich schrittweise von ca. 50 % bei 4,5 Sv bis zu 90 % bei 6 Sv (außer bei massiver medizinischer Intensivversorgung). Das Auftreten der Anfangssymptome beginnt innerhalb von 30 bis 120 Minuten und dauert bis zu zwei Tage. Danach setzt eine 7- bis 14-tägige Erholungsphase ein. Wenn diese vorüber ist, treten im Allgemeinen die gleichen Symptome wie bei 3 bis 4 Sv verstärkt auf. Die Genesung dauert mehrere Monate bis 1 Jahr. Der Tod tritt in der Regel 2 bis 12 Wochen nach der Bestrahlung durch Infektionen und Blutungen ein.
6 Sv bis 10 Sv schwerste Strahlenkrankheit 100 % Todesfälle nach 14 Tagen (LD 100/14).Die Überlebenschance hängt von der Güte und dem möglichst frühen Beginn der intensivmedizinischen Versorgung ab. Das Knochenmark ist nahezu oder vollständig zerstört und eine Knochenmarktransplantation ist erforderlich. Das Magen- und Darmgewebe ist schwer geschädigt. Die Anfangssymptome treten innerhalb von 15 bis 30 Minuten auf und dauern bis zu zwei Tage an. Danach setzt eine 5- bis 10-tägige Erholungsphase ein, die als Walking-Ghost-Phase bezeichnet wird. Die Endphase endet mit dem Eintritt des Todes durch Infektionen und innere Blutungen. Falls eine Genesung eintritt, dauert sie mehrere Jahre, wobei sie wahrscheinlich nie vollständig erfolgen wird.
10 Sv bis 20 Sv schwerste Strahlenkrankheit 100 % Todesfälle nach 7 Tagen (LD 100/7).Diese hohe Dosis führt zu spontanen Symptomen innerhalb von 5 bis 30 Minuten. Nach der sofortigen Übelkeit durch die direkte Aktivierung der Chemorezeptoren im Gehirn und großer Schwäche folgt eine mehrtägige Phase des Wohlbefindens (Walking-Ghost-Phase). Danach folgt die Sterbephase mit raschem Zelltod im Magen-Darm-Trakt, der zu massivem Durchfall, Darmblutungen und Wasserverlust sowie der Störung des Elektrolythaushalts führt. Der Tod tritt mit Fieberdelirien und Koma durch Kreislaufversagen ein. Behandlung kann nur noch palliativ erfolgen.
20 Sv bis 50 Sv schwerste Strahlenkrankheit 100 % Todesfälle nach 3 Tagen (LD 100/3), im Übrigen wie bei „10 bis 20 Sv“
über 50 Sv Sofortige Desorientierung und Koma innerhalb von Sekunden oder Minuten. Der Tod tritt in wenigen Stunden durch völliges Versagen des Nervensystems ein.
über 80 Sv Die US-Streitkräfte rechnen bei einer Dosis von 80 Sv schneller Neutronenstrahlung mit einem sofortigen Eintritt des Todes.
Tipp zum Thema:
Eine authentische Erzählung von einem Hilfsarbeiter vor Ort, wie er das Unglück aus erster Hand erlebt, findet man im Buch zwischen Unterhaltung und Joursnalimus „Reaktor 1F„. Die eigene Geschichte wird anhand von Bildern und Zeichnungen unermalt.
[hr]
Weiterführende Links:
Bildquelle:
By Nuclear Incident Team DoE – http://www.slideshare.net/energy/radiation-monitoring-data-from-fukushima-area-04182011, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=14982279
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