Fakten zur Querdenken Demo am 29.08.2020 in Berlin

In den Medien liest man vor allem über den sogenannten Ansturm auf den Reichstag über die Querdenken Demo. Doch ist dieses Bild repräsentativ für die Querdenken Bewegung? Und wie viele Teilnehmer waren wirklich auf der Demo? Eine knackige Übersicht.

Zurecht empört man sich in den Medien über den sogenannten Ansturm auf den Reichstag. Die Bilder in denen vorwiegend Rechtsextreme auf die Treppen rennen und von zwei drei Polizisten zurückgehalten werden sind eingänglich und verurteilenswert. Aus der offiziellen Pressemitteilung der Berliner Polizei [1] geht allerdings hervor, dass es sich am Platz der Republik – wo sich auch der Reichstag befindet – um eine gänzlich andere Demo gehandelt hat mit dem Titel „Für Freiheit und Volksdemokratie – für Heimat und Weltfrieden (…)“. Noch während die Querdenken Veranstaltung an der Siegessäule in vollem Gange war fand der Ansturm auf den Reichstag statt, sodass man davon ausgehen muss, dass es hier keine Verbindung zur Querdenken Demo gibt.

Der Aufzug

Doch der Reihe nach – von dem Querdenken-Team wurde zunächst ein Aufzug über die Friedrichsstraße angemeldet, der um 10 :30Uhr starten sollte. Man ließ den Zug allerdings nicht starten, wodurch ein immer größerer Stau entstand. Schließlich brach man den Zug ab mit der Begründung, die Abstände wurden nicht eingehalten – inwieweit die Polizei selbst diese Situation mitverschuldet hat, oder ob dies bereits von Anfang an der Fall war, kann an dieser Stelle nicht aufgeklärt werden. Klar ist – durch die Blockade konnte sich der Zug nicht entzerren und so hat man die beste Möglichkeit zur Wahrung der Abstände verstreichen lassen. Nach hinten konnten die Teilnehmer wenig ausweichen, da sich der gesamte Zug über mehrere Kilometer erstreckte. Es rückten immer wieder Leute nach, welche  die Situation der Blockade erst zu spät realisierten. Die Teilnehmer zogen nach Auflösung über Seitenstraßen Richtung Siegessäule zur Hauptkundgebung. Hier ein Eindruck der Situation.

Update 1.9.2020 – In diesem Video [2] von ExomagazinTv schildern die Zugführer die Situation. Es waren demnach zu Beginn die Abstände gewahrt. Man ließ die Veranstaltung dann in Absprache mit dem Kontaktman nder Polizei offiziell starten, was zunächst mit ca. 7 minütigen Reden vor den jeweiligen Wagen stattfand. Als sich der Zug anschließend in Bewegung setzen wollte wurde dies von der Polizei nicht zugelassen. Da man nun bereits das Startsignal gab, rückten die Leute nach. Dennoch versuchte man die Abstände zu wahren, was auch größtenteils gelang. Als man nun fragte, warum der Aufzug nicht starten konnte, kam von der Polizei die Mitteilung, dass die Teilnehmer eine Maske tragen sollen. Das Gericht war im Vorfeld eindeutig – es gab keine Auflagen zur Maskenpflicht, lediglich zum Mindestabstand. Dennoch riefen die Zugführer dazu auf und ca. 70% der Leute trugen anschließend eine Maske. Dann kam ein zweites Polizeiteam hinzu und man verkündete, ohne dass der Kontaktmann zwischen Zugführer und Polizei davon wusste, dass der Aufzug aufgelöst ist. Die Menschen konnten allerdings nicht abströmen, denn der gesamte Zug war von Absperrungen eingekesselt. Der Abstrom erfolgte erst später, als man nach und nach die Seitenstraßen öffnete.

Die Hauptkundgebung – Organisatorisches

Die Hauptkundgebung verlief insgesamt ruhig und die Abstände wurden größtenteils gewahrt, so die Berliner Polizei. Sie begann um 15:30 Uhr und endete um 20:30 Uhr.

 

Teilnehmer der Querdenkendemo

Ein Teilnehmer beschreibt die Lage so :

Ja, Reichsflaggen waren vor Ort. Ja, Rechtsextremisten waren auch vor Ort. Und ja, auch richtige Spinner waren vor Ort. Sie waren nicht viele, schon gar nicht dominierten sie, aber sie waren eben unter den Demonstranten. Und das ist natürlich nicht schön. Einige Gesinnungen vor Ort sind mit Sicherheit abzulehnen und in vielen Teilen muss man auch aktiv dagegen ankämpfen. Extremismus von Rechts kann und darf niemals salonfähig werden. (…) Die Straßen dürfen nicht den Extremisten überlassen werden. Und man wird ja wohl auch seine Meinung noch zur Geltung bringen dürfen. Über Demonstrationen. Wenn man darauf schaut, ob (wenige) Extremisten mitlaufen, dann wird dies immer der Fall sein. Dann darf man gar nicht mehr demonstrieren.

Mich interessiert das Motto der Demonstration und wie die breite Masse der Demonstration drauf ist. Und diese waren sachlich und hatten mit Extremismus nichts zu tun. Hier wird auch kein Corona geleugnet. Ich leugne Corona auch nicht. Daher sind Bezeichnungen wie „Anti-Corona“ oder „Corona-Leugner“ zu totalitär, um eine Masse von der anderen abzuschrecken.

Wie auch das Bundesverfassungsgericht schon am 1.8.2020 bei der ersten großen Querdenkendemo in Berlin feststellte, war auch hier der Großteil der Leute der bürgerlichen Mitte zuzuordnen. Der Veranstalter distanzierte sich mehrfach, sowohl in der Vorankündigung als auch in der Ansprache auf der Demo selbst von Rechtsrextremen und Linksextremen. Fast gebetsmühlenartig wurde wiederholt, dass man friedlich bleiben soll, mit der Polizei kooperieren soll und potenziell gewaltvolle Personen von der Polizei entfernen lassen soll. Es gab Deeskalationsteams, welche stets präsent waren. Die Stimmung war insgesamt positiv und friedlich, aber auch etwas angespannt, aufgrund der polizeilichen Maßnahmen beim Umzug und des unrechtmäßigen Veranstaltungsverbots im Vorfeld. Keineswegs war sie aggressiv.

 

Anzahl der Teilnehmer

Die Massenmedien schätzen die Teilnehmerzahlen auf 38000. Dies dürfte jedoch deutlich zu gering sein. Zur Hauptzeit war die Straße des 17. Juni, der Platz um die Siegessäule, Teile der Hofjägerallee, des Spreewegs und Teile der Altonaer Straße voll mit Menschen. In den umliegenden Parkflächen waren ebenfalls durchgängig viele Menschen zu sehen. In dieser Stichprobe kann man sehen, dass in dem markierten Bereich 300 Personen stehen. Daraus lässt sich in etwa die Personendichte ableiten : sie entspricht 0,3-0,4 Personen pro Quadratmeter.

Bild könnte enthalten: Menschenmasse und im Freien, Text „Tube VIDEOCESAR“

Mit dem Tool Mapchecker lässt sich nun überschlagen, wieviele Teilnehmer bei der Demo waren.

Bild könnte enthalten: Text „RG Altonaero Schloss Bellevue 三 Kulturen der Ten Englischer Parten 国s THOGARTEN Brandenburger-Tor 2 Ritter Sport Bu Bu SU Schokowelt-B Großer Tiergarten Denkmal für die ermordeten Juden... Number of people per square meter (m2) What does look like? 0.3 people per m² (~10f2) Potsdamer Platz Estimation 93264“

Bei einer Dichte von 0,2 Personen pro Quadratmeter wären es ca. 62000, bei einer Dichte von 0,3 ppqm ca 93000. Möglicherweise waren es sogar über 100000 Menschen, wenn man die Personen mitdenkt, die überall unterwegs waren. Letztlich kann man es nicht genau sagen, aber wenn man die Schätzungen der Massenmedien verdoppelt, kommt man wohl ganz gut hin.

 

Inhaltliche Positionen der Querdenker

Querdenken heisst alles hinterfragen und selbst denken. Dieses Leitmotto, welches sich an die Ideale der bürgerlichen Revolution 1848 anschließt, auf der unsere heutige Demokratie aufbaut, war eines der zentralen Denkfiguren dieser Bewegung. Konkret bezog sich das auf die aktuellen Coronamaßnahmen, auf die Aussetzung des Grundgesetzes wegen fragwürdiger Infektionsschutzgesetze, sowie der mangelnden Transparenz und selektiven Auswahl von Expertenmeinungen. Auch das Fehlen einer politischen Opposition in der Coronapolitik wurde beklagt. Langfristig schwebt der Bewegung eine Umgestaltung der Demokratie hin zu einer größeren bürgerlichen Beteiligung vor, wobei das konkrete Vorgehen eher einem Brainstorming gleicht und kein kohärenter Forderungskatalog besteht. Einige Ideen die zirkulierten waren eine direkte Abwahl von Abgeordneten bei nichtbeachtung des Wählerauftrags, Elemente einer direkten Demokratie und Volksabstimmung – wie sie in der Schweiz existiert – oder auch das Entwerfen einer neuen Verfassung.

Die Redner der Veranstaltungen waren vielfältig, der prominenteste Gast war wohl Robert F. Kennedy, der Neffe des ehemaligen US-Präsidenten. Seine Referenz auf den Ausspruch „Ich bin ein Berliner“ markierte den emotionalen Höhepunkt der Rede. Auch Leistungssportler wie der ehemalige Weltmeister Andreas Berthold, Alexandra Wester und Joshiko Saibou sprachen zur den Menschen. Es sprachen weiterhin Anwälte, Ärzte, Polizisten, Eltern, Kinder, Aktivisten und Geistliche. Auch der Grünen Politiker David Claudio Sieber hielt eine Rede.

Gegendemonstration

Der vollständigkeit halber sei hier auf die Gegendemonstration eingegangen. Im Gegensatz zur Querdenkendemonstration war die Stimmung in der Gegendemonstration, die nur einige hundert Teilnehmer zählte, aggressiv. Es gab allerdings auch hier einzelne friedliche Teilnehmer. Es wurden wahllos alle vorbeiziehenden Menschen mit „Nazi“ und „Verpiss dich“ Rufen quittiert. Auch die Polizisten wurden angegriffen. Die Pressemeldung der Berliner Polizei :

Bei einer Versammlung zum Thema „Maulkorb für Verschwörungsmythen“ kamen ab 10.35 Uhr mehrere Hundert Menschen an der Straße Unter den Linden Ecke Charlottenstraße zusammen. Als diese mit Teilnehmenden des Aufzugs „Versammlung für die Freiheit“ gegen 12.20 Uhr aufeinandertrafen, führte das zu Unmutsäußerungen. Um eine körperliche Auseinandersetzung zwischen den Gruppen zu verhindern, wurde ein polizeiliches Einschreiten erforderlich. Was letztlich in Angriffe auf Einsatzkräfte mündete und polizeiseits zur Anwendung körperlicher Gewalt. Um kurz vor 17 Uhr wurde die Versammlung beendet.

 

Entwicklungen im Nachgang

Nach der Veranstaltung sollten legal angemeldete Camps stattfinden. Diese wurden in der Nacht von der Polzei ohne schriftlichen richterlichen Beschluss geräumt.

Update 1.9.2020 : Das Bundesverfassungsgericht hat sich nun zu den Camps geäußert und das Verbot bestätigt. Es hat sich dabei – für das Bundesverfassungsgericht unüblich – in der Sache geäußert (was i.d.R. Fachgerichte übernehmen).


[1] Pressemeldung Berliner Polizei im Wortlaut:

„Bei einer angemeldeten Dauerkundgebung mit dem Thema „Für Freiheit und Volksdemokratie – für Heimat und Weltfrieden (…)“ am Platz der Republik versammelten sich ab 10 Uhr einige hundert Menschen, die in der Folge lautstark dazu aufforderten, den Platz freizugeben. Gegen 14.40 Uhr forderte der Versammlungsleiter dazu auf, die an der Reichstagswiese aufgestellten Absperrgitter umzustoßen, um auf die Grünfläche zu gelangen. Um kurz nach 16 Uhr überwanden circa 50 Teilnehmende die Gitter und gelangten auf die Wiese vor dem Reichstag. Polizeikräfte begannen die Teilnehmenden von der Wiese zu drängen.
Um kurz nach 19 Uhr strömte eine Vielzahl an Personen aus dem Bereich Brandenburger Tor kommend in Richtung Wiese vor dem Reichstag. Um dies zu lenken bzw. zu unterbinden, sollten für den Bereich Simsonweg Ecke Scheidemannstraße Einsatzkräfte zusammengezogen werden. Diese Phase nutzte eine größere Personengruppe von etwa 300 bis 400 Personen, überwand aufgestellte Absperrgitter und gelangte so auf die Außentreppe des Reichstages.“

 

[2]  https://bit.ly/3hMNv7O

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