Die globale Immun-Maschine

Am 12.4. 2020 wurden Bill Gates in den „Tagesthemen“ der ARD knapp 10 Minuten Sendezeit geschenkt, die er nutzte, um für seine globalen Impfungs-Absichten zu werben. Journalistische Nachfragen, etwa zu den massiven Folgeschäden, unter anderem mit Todesfolge, bei indischen Kindern durch eine von der Bill und Melinda Gates-Stiftung initiierte HPV-Impfstudie, blieben aus.

Ein Kommentar von Matthias Thiele

Sollte es die Agenda von Bill Gates (und/oder anderen) sein, der Evolution der Menschheit etwas nachzuhelfen, indem das Leben und Verhalten von Menschen technisch gesteuert und kontrolliert wird, etwa über ein Chipimplantat und anderes, liegt in dessen Denken ein fundamentaler Fehler. Mit diesem Vorgehen wäre das wesentlichste Problem der Menschen nicht gelöst: das der kreativen und fluiden Intelligenz. Mit dieser technologischen Lösung der Steuerung und Kontrolle würden die Menschen lediglich zu gesteuerten Funktionsparametern, würden zum Teil einer biotechnischen Maschine. Gates verwechselt reibungsloses Funktionieren mit Leben. Reibungsloses Funktionieren ist vielmehr das Gegenteil von Leben; es wäre ein totes System. Tot wäre es, weil Resilienz mit Stabilität ersetzt würde, weil ein statischer Zustand keine organische Dynamik mehr hervorbringt, weil kollektive Intelligenz zwar mehr oder zumindest anders ist als die Summe der individuellen Intelligenzen, aber dennoch nur durch Letztere möglich sein kann. Die Technisierung des Lebens durch Kontrolle und Steuerung fußt auf der Idee einer externen konzentrierten Intelligenz, der sich das Individuum unterwirft, und damit seine Eigenverantwortung im Denken, Fühlen, Entscheiden und Handeln an jene Steuerungsinstanz abgibt. Der eigentliche Motor von Evolution – der individuelle Lebensversuch – würde gedrosselt, abgewürgt und auf Autopilot umgerüstet.

Ein solches Denken ist lebensfern. Es scheint seine Motivation aus einem grundlegenden Gefühl des Weltekels zu schöpfen, aus einer tiefen Abscheu vor den materiellen Bedingungen jeder organischen Körperlichkeit, nicht unähnlich den Waschzwangsstörungen, und aus einer Abscheu vor dem Risiko fehlschlagender Immunreaktionen angesichts mikrobischer und viraler Symbiosen. Aber auch aus einer Abscheu angesichts der Unwägbarkeit menschlichen Verhaltens. Die Steuerungsaffinität kann nicht anders, als in menschlicher Kreativität lediglich den Aspekt der Unvorhersehbarkeit der Folgen zu sehen. Multikausalität, weil in ihren Konsequenzen unvorhersehbar, wird als Chaos und Unordnung missverstanden. Multikausalität ist der Feind eines jeden Planes, der nur sein Ziel, aber keine Nebenwirkungen kennen will. Der antiseptische Raum ist tot, weil buchstäblich leer. In einem quasi-toten Zustand sind die Probleme des Lebendigseins gelöst.

Bill Gates` Agenda ist eine pragmatische Antwort auf die nihilistische Philosophie, man denke an Ciorans Buchtitel „Vom Nachteil geboren zu sein“. Die totale Immunreaktion wäre der Eiserne Vorhang, der jedes Individuum vom nächsten isoliert. Die Psychoenergetik des Einzelmenschen würde wie Pingpongbälle an den Außenmauern des Individuums – die sich noch unterhalb der Haut befinden, sogar unterhalb des Körpers an sich – hin und her sausen. Ein autistisches Locked-In-Syndrom als Preis für die Abgabe der körperlichen Kontrolle an ein globales Steuerungssystem. Absolute Kontrolle und technologische Orchestrierung menschlichen Verhaltens zwänge den Menschen zwar oberflächlich betrachtet in einen Gleichklang aus Verhalten, in der Tiefe aber entstünde eine Fragmentierung des menschlichen Kollektivs, als löse man die einzelnen Steine aus einem Mosaik, um sie nach Farben zu sortieren. Das eigentliche Bild, das nur erkennbar ist, wenn man einen Schritt zurücktritt, wäre zerstört.

Wir würden, sollte sich die Affinität zur technologischen Steuerung durchsetzen, nicht mehr und nicht weniger erleben, als die Machtübernahme der Maschine. Macht man die Maschine zum totalen Instrument, wird sie zum Diktator und ihr Schöpfer zu ihrem Sklaven.

Gates, der hier als pars pro toto für all jene eventuellen Kräfte steht, die Lebendigkeit als Feind ihrer Vorstellung von Leben verstehen, gilt offenbar, wie Cioran es formulierte, schon „jedes Gebären als verdächtig“.

Ähnlich wie auch faschistische Parteien als Feinde der Demokratie von den Regularien der Demokratie ausgeschlossen werden müssen (vgl. Karl Popper: „Die Feinde der Demokratie“), und demokratische Toleranz also hier seine Grenze finden muss, so muss auch die totale Immunität, die vorgibt, das Leben zu schützen, aber das Tote schafft, abgelehnt werden.

Das „Tote“ ist nicht identisch mit Tod. Der Tod ist die definierende Konstante individuellen Lebens. Die genetische Weitergabe hingegen ist die Idee einer materialistischen Konzeption des Ewigen. Das „Tote“ aber durchbricht das ewige Werden und Vergehen, die zyklischen Kreisläufe von Versuch und Irrtum, von Vergeblichkeit und Erfolg. Das „Tote“ ist museal gewordenes Erinnern an Leben, ist Reduktion auf Struktur, auf Null und Eins als einzig relevante Größen. Leben aber ist nicht digital, sondern analog und resonant.

Es ist das unglückliche Erbe der frühen kybernetischen Revolution, den Menschen nicht anders als in Begriffen von „Betriebssystemen“, „Firewalls“, „Programmen“ und das Gehirn als „Festplatte“ denken zu können. Ebenso wenig wie der Mensch ein Rad, ein Uhrwerk oder eine Dampfmaschine ist, so wenig lässt er sich mit der Sprache der digitalen Technologie erfassen. Termiten sind nicht ihr Bau, Bienen nicht ihre Wabe, und der Mensch ist keine digitalisierte Maschine. Technik ist als Gleichnis für das lebendige Menschsein generell ungeeignet. Technik ist lediglich „zu Materie geronnene Menschheitserfahrung“ (Winfried Hacker) und kann bestenfalls gelesen werden als Historie menschlichen Denkens und Gestaltungsvermögens. Technik ist keine Lösung von Problemen, sondern das Spiel, auf das wir uns geeinigt haben. An sie die Kontrolle abzugeben, hieße die Insolvenz des Lebendigseins anzumelden.

 

Quellen zu weiteren Hintergründen:

https://www.zeit.de/2014/44/bill-gates-stiftung-gesundheit-spenden

https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/klinische-studien-in-indien-fordern-immer-wieder-todesopfer-a-806797.html

 

Matthias Thiele, Psychologe und freier Buchautor, arbeitet als Dozent für Entwicklungs-, pädagogische und heilpädagogische Psychologie in Leipzig und Dresden. Quellen seiner Arbeit sind darüber hinaus kulturübergreifende Konzepte der menschlichen Psyche, etwa aus dem Yoga und dem Buddhismus, antike und europäische Philosophie, die Erforschung und Anwendung alternativer Psychotechniken, Kunst und Musik. Publikationen: „Tarot und die Kunst der Selbsterkenntnis“ (2012) „Das stolze Licht. Wie Zorngeborene die Welt erschaffen“ (2014) „Wie leicht es ist“ (Roman, in Vorbereitung) matthiasthiele.com