Griechenland gilt als Wiege Europas. Griechenland gab dem Kontinent seinen Namen : „Die Frau mit der weiten Sicht“. Griechenland kultivierte, woran es dieser Tage immer mehr mangelt – echte Diskussionskultur – vor allem Diskussionsfreude. Wenn man sich die Ursprünge der Menschheit anschaut, in denen man sich mühsam aus instinkthafter Bezogenheit emporkämpfte zu Ich-Bewusstsein, dann stand Griechenland mit seiner Tradition für die Freude am rationalen Erkennen und damit der Ablösung vom instinktiven Reagieren. Freude am Bewusstwerden in einem definierenden Sinne (sich abgrenzen von). Die Scholastik war eine daraus resultierende Bewegung, welche Teil der Seele Europas ist: „Dabei wird eine Behauptung untersucht, indem zuerst die für und die gegen sie sprechenden Argumente nacheinander dargelegt werden und dann eine Entscheidung über ihre Richtigkeit getroffen und begründet wird.“ Kommt diese Entwicklung nun zum erliegen? Man möchte meinen, dass in der reizüberfluteten Gegenwart vor allem emotionale Meinungen angetriggert werden. Kurze Schlagworte, komprimiert in einem Hashtag, ersetzen oftmals politische Meinungsbildung. Das geht sogar so weit, dass Fakten umgangen werden – siehe Wahlkampf a la Donald Trump. Auch die virtuelle Umgebung führt mit ihren Algorithmen dazu, dass man z.B. in seinem Facebook-Stream vermehrt eine Bestätigung der eigenen Meinung serviert bekommt. Wir kennen das alles. Die Komplexität der Welt ist zum einen größer als je zuvor, zum anderen ist das Aufnahmevermögen und die Muße der Entscheidungsfindung kurzlebiger denn je. Die Kreise von leidenschaftlicher Diskussion haben sich stark gelichtet. Der durchschnittliche Europäer ist ermüdet, überreizt und desillusioniert – schleppt sich von einem Thema zum nächsten. Alleppo? IS? Brexit? Es bleibt ein Gefühl der Ohnmacht. Was kommt als nächstes? Mit Bangen blickt man auf die amerikanische Wahl im November.
In etwa mit dem Beginn der PEGIDA Bewegung gab es noch rege Diskussionen darüber, was nun das christliche Abendland ausmache,wie man am besten mit dem Flüchtlingen verfahren müsste,welchen Wert die Aufklärung hat und dass diese nicht selbstverständlich sei, sondern gerade von fundamentalistischen Kräften bedroht wird, und auch -welche Lehren wir aus unserer eigenen Vergangenheit ziehen, welche Schuld uns zukommt und welche Pflicht. All diese wichtigen Themen haben das Mark Europas erschüttert bis hinein in das privateste und scheinbar einen geistigen Motor ins stottern gebracht. Denn die Stimmung dieser Tage ist gelinde gesagt träge. Das ganze spielt sich nun auch passenderweise parallel mit der Krise Griechenlands ab – seit 2010 ist Griechenland offenkundig pleite. Diese Krise ist durchaus auch geistig und symbolisch zu deuten: Neben der Diskussionskultur ist auch die Demokratie wesentlich mit Griechenland verbunden. Auch jene Demokratie ist dieser Tage nicht nur symbolisch im Wanken – sie ist durch Korruption und Neoliberalismus ernsthaft bedroht in ihrer Handlungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit. Ebenso wird das westliche Modell natürlich von Fundamentalisten angeprangert.
Europa ist ratlos, bewegungsunfähig. In diesem Zustand bräuchte es vielleicht Visionen, Ideale – eine gemeinsame Idee, welcher sich die Menschen verschreiben. Doch gerade hier ist man sich uneins – so werden Hillary Clinton und Donald Trump zu einer Karikatur des Zeitgeschehens: Die Wahl zwischen Not und Elend, emotionale Polarisierung, der Mangel an echten Neuerungen und Visionen. Establishment vs. Regression. Sollte sich Le Pen 2017 durchsetzen und ihre Idee von dem Austritt Frankreichs aus der EU umsetzen könnte das das Ende des bisherigen Europas bedeuten. Das Ende des bisherigen Europas. Ein Satz, den man lieber wieder löschen möchte. Die integrale Theorie bietet hier Lösungsgedanken an, indem sie das Vielerlei der Interessen ordnet und einem möglichst sinnhaften Evolutionsgedanken verschreibt. Von Regression ist auch hier die Rede, von grüner Ohnmacht, erstarkenden blauen und roten Strömungen. Unterm Strich herrscht auch hier Sprachlosigkeit. Doch immerhin sich im Verständnis wähnende Sprachlosigkeit.
Alles gesagt klingt für mich völlig plausibel, sodass ich leider nur wenig Diskussion beitragen kann : /
Es ist uns bei all dem auch die Leidenschaft abhanden gekommen, mit der wir für oder gegen etwas
Position beziehen. Wenn ich mit Leidenschaft für etwas eintrete, dann bin ich zutiefst überzeugt davon.
Welcher Politiker ist das heute noch? Ein Horst Seehofer, wenn er poltert? Glaubt der wirklich selbst,
was er sagt? Oder spricht er so nur aus Kalkül? Ein jeder scheint allein seine Rolle zu ’sprechen‘.
Aber Leidenschaft? Und ohne die verkommen Diskussionen zum bloßen Schlagabtausch.