Der postmoderne Wahlkampf – was Europa nach dem US-Wahlkampf erwartet

Heute findet die endgültige Wahl in den USA statt. Es erscheint wie ein Marathon – der Wahlkampf war so omnipräsent und zeitgleich inhaltlich derart repetetiv, dass die Zeit verstrich wie im Wartesaal eines Zahnarztes. Gebetsmühlenartig werden Phrasen wiederholt ohne dem auch nur einen Funken hinzuzufügen. Doch was genau hat den Wahlkampf auf der einene Seite so dramatisch, auf der anderen Seite inhaltlich erschreckend langweilig gemacht? Willkommen im ersten puren Post-Modernen Wahlkampf. Wahrscheinlich wird der US-Wahlkampf kein Negativbeispiel bleiben, sondern die Politik des Westens in den kommenden Jahren prägen. Warum möchte ich am Beispiel der Spiral Dynamics erklären.

Kurzer Abriss zur Bewusstseinsentwicklung des Menschen

Die Spiral Dynamics sind ein Modell zur Bewusstseinsentwicklung des Menschen. Dabei durchläuft der Mensch verschiedene Phasen, welche ihn sich selbst und seine Umwelt mit anderen Augen wahrnehmen lassen. So ist bei Trump beispielsweise die egoische Phase sehr aktiv, was zum einen zu großer Vitalität, zum anderen jedoch auch zu Irrationalität und Unnachgiebigkeit führt. Er sieht die Welt vor allem als Bemächtigungsversuch, gegen den er sich behaupten muss. Unnötig zu erwähnen, dass Menschen auf dieser Stufe die Welt vor allem aus der Ich-Perspektive sehen. Es folgt die autoritäre Welle, bei dem die Du-Perspektive im Fokus ist. Menschen auf dieser Welle handeln vorwiegend aus dem Über-Ich und sind um gemeinsame Reglen für alle bemüht. In der darauffolgenden Welle schließlich gelangen wir zu einer Es-Perspektive, bei dem wir die Welt vorwiegend nach ihrem funktionalen Aspekt beurteilen. Die autoritäre Welle und die funktionale Welle drehen sich beide um Inhalte – so wird darum gewetteifert und diskutiert was richtig ist (autoritäre, blaue Welle) und was funtkioniert im Wettbewerb (funktionale, orange Welle). Um diese beiden Pole kreiste unsere Politik in den vergangenen Jahrzehnten. Anschließend jedoch entsteht mit der grünen psychologischen Welle eine Fixierung auf die Perpsketive der vierten-Person, d.h. man wird sich des pluralistischen Aspekts der Realität gewahr. Die grüne Welle hat eine Neigung alles zu psychologisieren und Verhalten auf Prägungen des Menschen hin zu erklären. So wichtig und erkenntnisreich diese pluralistische grüne Welle des Bewusstseins ist, so gefährlich kann sie auch sein, denn die Psychologie hat die Macht alle inhaltlichen Debatten auf ein psychologisches Flachland zu reduzieren. Gibt es beispielsweise einen Gerechtigkeitskomplex? Sind Erdogan Gegner beleidigt oder neidisch, weil sie sich über Ungerechtigkeiten empören? Die grüne Welle wirft in ihren Schattenseiten alles auf die eigene Beschaffenheit zurück und legt den Finger in die Wunde der Selbstzweifel. Inhaltliche Argumente haben hier das Nachsehen – natürlich nur, wenn das grüne Bewusstsein unerlöst ist und innerlich noch von dem Narzissmus der vorhergehenden Stufen beherrscht wird. Über die vielen positiven Seiten von der grünen pluralistischen Welle vielleicht an anderer Stelle mehr.

Der US-Wahlkampf als Ausdruck postmoderner Politik

Was wir in dieser Wahlkamperiode sehen entspricht dem beschrieben Szenario – eine Darstellung des anderen, welche direkt und ausschließlich auf das Persönliche zielt. Dem liegt eine gewisse Destruktionsromantik zugrunde. Das Aufblähen des Persönlichen ist zugleich schon der Vorläufer zur Überwindung des Persönlichen. Doch noch sind wir davon weit entfernt – Clinton bemüht sich immer wieder deutlich zu machen, dass Trump in seiner persönlichen Welt lebt. Umgekehrt versucht Trump ebenfalls Clinton zu diskreditieren und vom inhaltlichen Terrain zu zerren. Wenn man durch permanente Wiederholung immer wieder betont, dass der andere verlogen ist und in seiner eigenen Welt lebt, dass Wort und Tat auseinanderklaffen, dann nutzt man die psychologische Etikettierung als Skalpell. Diese Reduzierung des anderen auf einen bestimmten Typus ist eine bequeme Art die Umwelt zu ordnen. Bekanntlich verfolgt jeder Mensch seine eigene Psychologie aufgrund seiner Erfahrungen und Werte und so wird, wenn das inhaltliche Terrain einmal verlassen ist, letztlich das Tor aufgemacht für selbstgerechte, narzisstische Ansichten. Früher nannte man das Stammtischniveau, wobei es dabei oftmals um Gruppen ging. Heute geht es um Typen, Hobbypsychologien und Zuordnungen wie Narzisst, Ödipus- und Electra Komplexe. Es ist zu befürchten, dass diese Dynamik Europa ergreift und die Debatten auch hier verflachen. Ausschlaggebend sind zwei Faktoren: zum einen die neoliberale Systemkrise, zum anderen das psychologisch, pluralistische Bewusstsein, welches eine kritische Masse überschritten hat.

US Wahl 2016 Election Day DE
Trump erzeugt in Deutschland wesentlich mehr Aufmerksamkeit als Clinton, obwohl er inhaltlich nicht überzeugen kann. Statistik vom 8.11.2016 10:00Uhr

Wer liegt aktuell vorne im US Wahlkampf 2016 gemessen an den Suchanfragen?

Hillary Clinton kommuniziert in diesem Wahlkampf noch am ehesten mit inhatlichen Methoden. Es wird jedoch deutlich, dass diese Art der inhaltlichen Auseinandersetzung in einer immer komplexer werdenden Welt nicht mehr wirklich die Art der Realitätsbewältigung ist, die die Mehrzahl der Menschen befriedigt. Das System ist zu ungerecht. Das rationale ist nicht mehr an Werte gebunden, sondern an Egoismen und Körperschaften.  Die Dinge ausschließlich nach deren Nützlichkeit zu bewerten wird als asozial erkannt – ein Verdienst der grünen Welle. Solange diese Dynamiken anhalten wird sich der Unmut in einer Anti-Establishment Skizze entladen – wie auch immer man diese ausmalt- ob mit wilden Verschwörungstheorien, realer Korruptionskritik, Antiglobalismus, Lügenpresse Vorwürfen oder oder oder. Neu ist das nicht, schon in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts keimte der Populismus auf. Es geht nicht so sehr um das konkrete, sondern eher um das Ventil. In solchen Phasen sind daher immer auch gesellschaftliche Randgruppen in Gefahr stigmatisiert zu werden. Trotz allem – dass das neoliberale Treiben der Konzerne und die Handlungsohmacht der Politik kritisiert werden ist mehr als berechtigt  – das wird spätestens bei brennenden Umweltproblemen deutlich. Doch die integrale Theorie mitsamt der Spiral Dynamics bietet auch Perspektiven für ein post-politisches Zeitalter an.

Was kommt nach dem post-politischen Zeitaler?

Das Bewusstseinsmodell der Spiral Dynamics zeigt auch eine Perspektive an, wie es weitergehen könnte. Sehen wir uns die politischen Systeme aus Sicht der Spiral Dynamics an:

Bewusstseinswelle Begünstigt durch Sehnsucht / Idealisierung politisches System
Purpur Existenznot Harmonie (ohne Gleichheit) Präpolitisch, Akzeptanz der Rollen und Ungleichheiten
Rot Unterlegenheit, sich ausgebeutet fühlen, sich von anderen dominiert fühlen der Aggressor, der die Rolle vom Opfer zum Täter kehrt, derjenige, der eine Idealisierung als Person anbietet Diktatur, Personenkult der zugleich repressiv ist, als auch die Rache- und Größenphantasien des Volkes stimuliert
Blau Irrationalität der Macht erkennen Gleichheit, Gesetz, Ordnung Staat mit eindeutigem Wertekanon, Gemeinschaft in Abgrenzung zu anderen
Orange Geglückte Sozialisation, gelernter Anstand und Demut Entfaltung, Wissenschaft, Rationalität Länderüberschreitende Kooperationen, Wirtschaftsbündnisse, Konzerne
Grün internationaler Wettbewerb, rationale Überlegungen überlagern Ethik Gemeinschaft, Menschlichkeit, Gleichheit in Abgrenzung vom Establishment und rationalem Kalkül globale Initiativen unabhängig von Rasse und Nation, keine konkrete politische Form mehr, nutzt die Form der orangenen Unternehmenstruktur
Gelb solidarische Bündnisse, investigativer Journalismus, Meinungsfreiheit, psychologische Selbsterkenntnis Autarkie, ökologische Selbstversorgung, sensibilisierte Gemeinschaft ohne Fronten nutzt die durch grün geschaffenen Räume für Selbstversorgung und eigene Lebensgestaltung, gelebtes privates Engagement in der eigenen Umgebung ersetzt gewählte Stellvertreter

Man kann sagen, dass das eigentlich politische vor allem in Rot und Blau zu finden ist, während Orange und Grün bereits in organisatorischen Strukturen agieren. In Gelb hat sich das Bewusstsein in der Form gewandelt, dass die Eigenverantwortung einen höheren Stellenwert hat, als die Abdelegation durch eine Wahl. Jemand, der wahrhaft auf der gelben Stufe verankert ist, nutzt dieses Wissen jedoch nicht als Ausrede zur Passivität, sondern bündelt seine Energien für das eigene Leben, das eigene Engagement am nächsten. Das politische wird umfasst, integriert – nicht abgelehnt. So kommen wir zu folgender vereinfachten Skizze:

Beige – Purpur: tribalistisch (Stamm)
Rot – Blau : posttribalistisch, politisch (Staat)
Orange – Grün : postpolitisch, organisatorisch (Liberalismus)
Gelb – Türkis: postorganisatorisch, autark (ökologische Autonomie)

Das ökologische Zeitalter

So wird die angemessene Art der komplexen Systemkrise zu begegnen wahrscheinlich in dem gelben Bewusstsein liegen, d.h. eine selbstgenügsame ökologisch orientierte Art der Realitätsbewältigung. Entschleunigung, Reregionalisierung und Autarkie sind Schlagworte, welche sich in aktuellen Bewegungen, beispielsweise in Allmende Gemeinschaften in der Schweiz, der Forderung nach bedingungslosem Grundeinkommen oder selbstversorgenden Häusern (Earthships) wiederspiegeln. Auch die steigende Politikverdrossenheit bei gleichzeitig stärkerem eigenen Engagement, Vegetarismus und Dienst am nächsten sind typisch gelbe Prägungen. Dabei ist diese Entwicklung wie gesagt post-politisch, d.h. sie vertraut gar nicht mehr darauf, dass innerhalb des Systems eine Lösung zu finden ist. Das System wird verstanden und akzeptiert, aber eine Lösung liegt eben außerhalb. Und mit dem eigenen Engagement wirkt man letztlich auf das System zurück. Zum Verständnis: Damit ist nicht gemeint, dass man sich nicht politisch beteiligt oder der politische Prozess abgelehnt wird, sondern dass die Eigenverantwortung wichtiger zu beurteilen ist, als die Wahl eines Abgeordneten. Diese Eigenverantwortung beruht auf umfassender Vernunft, welche über die Individualität hinausgeht. Wo der Individualismus also auf pluralistischem Relativismus basiert, fokussiert sich die Autonomie des Zweiten Ranges auf selbstbezügliches Urteilen mit Verweis auf universelle Prinzipien. Auch die Einführung von Regionalwährung ist eine gelbe Bewegung, welche lokale Unternehmen fördern und sich so vom globalen Wettbewerb loslösen. Und zu guter letzt steigt das Bewusstsein, dass wir durch unsere Nachfrage die Produktion bestimmen und dadurch Eigenverantwortung übernehmen.

Ist dieses Bewusstssein noch nicht ausgeprägt, so drängen die Menschen als Ausweg der Systemkrise auf Regression ins Nationale (eigentlich politische – rot und blau). Die Rückbesinnung beruht hier jedoch nicht wie bei Gelb auf Eigenverantwortung, Vernunft, Mitmenschlichkeit und Wertungsfreiheit, sondern sucht nach einem längst verloren gegangenen nationalen aggressivem Größenkörper mitsamt Führungsperson. „Make America Great Again“ wird aus diesem Licht betrachtet zu einer verirrten Bewegung, die noch zu gefangen ist im Größenselbst um die Eigenverantwortung zu erkennen.

Wie gelbes Engagement aussehen könnte, kann man sich in dieser Doku über Entschleunigung ansehen.

 

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