Eine integrale Sicht auf Trump

Ich hatte ja bereits in einem Beitrag vom Juni die Kandidaten der amerikanischen Wahlperiode 2016 aus integraler Sicht beleuchtet. Nun hat Jeff Salzman von Integral Life das ganze Thema nochmal aufgegriffen in einem AudioPodcast.

Trump aus integraler Sicht

trump red orangeTrump selbst sagte, dass er sich in seinem Temperament nicht großartig geändert hat seit seiner Schulzeit. Dieses Statement unterstreicht, was man ihm aus integraler Sicht bescheinigt: eine unterentwickelte moralische Entwicklungslinie, bei dem sein Verhalten oftmals eine impulsive Gegenreaktion auf vermeintliche Angriffe anderer ist. Dies entspricht dem roten Mem in den Spiral Dynamics. Er sieht die Welt als Kampf, legt sich mit Feinden wie Freunden an. Er schmiedet keine großen Pläne, sondern versucht direkt in die Situationen zu gehen und sie zu dominieren. Diese kraftvolle Energie des „Ich bin“, welche sich ausdrücken muss, ist ein wichtiger Teil des Menschen und ist vermutlich das, was bei Hillary am wenigsten ausgeprägt ist. Aus integraler Sicht ist diese Energie wertvoll, aber nur wenn sie durch rationale Überlegungen ergänzt wird.  Ohne diese Ergänzung erscheint die rote Welle als Dschungel. Werte wie Respekt, Geduld und Anstand sind Errungenschaften, welche für Donald Trump offenbar wenig Bedeutung haben. Er entschuldigt sich nicht und bittet nicht um Vergebung – für ihn bedeutet das Gesichtsverlust, was ein typisch rotes Merkmal ist. Nach Jeff Salzman ist Trump ein Paradebeispiel für die rote Entwicklungsstufe, sodass er für 70-80% der Amerikaner eher als Antagonist betrachtet wird. Ein weiteres Merkmal Trumps für die rote Stufe ist die ausgeprägte Projektion – man sieht in anderen, was man selbst nicht mag an sich. So sagt Trump beispielsweise über Hillary Clinton, dass sie großen Hass in ihrem Herzen trage. In früheren Tweets hingegen, beispielsweise über das Flugzeugunglück im Mittelmeer, spricht er offen von großem Hass in seinem Herzen. Er bezichtigt nahezu jeden der Lüge, obwohl er selbst ein pathologischer Lügner ist. Wenn man diese Mechanismus erst einmal verstanden hat, dann wird einem Bange bei Aussagen von Trump über Hillary „Sie weiss nicht was sie tut, sie wird den dritten Weltkrieg vom Zaun brechen“. Bleibt zu hoffen, dass dies ausnahmsweise keine Projektion ist. Im Bereich der nuklearen Waffen hat der Präsident direkten Zugriff ohne Einmischung des Kongresses.

Trump aus typologischer Sicht

Aus Sicht des Enneagramms entspricht Trump am ehesten dem Typen 8: Führer, Boss, Beschützer. Wie bei allen Typen gibt es auch hier eine Spirale von sehr gesund bis ungesund. Das niedrigste Level von 8 wird beschrieben als rachsüchtiger Zerstörer. Wenn dieser Typ sich auf dem absteigenden Ast wähnt, zieht er das ganze Schiff mit auf den Grund. Weiter vergleicht Jeff Salzman Trump mit Aussagen über Hitler, nach denen dieser vor seiner Machtergreifung als Narzisst, Egomaniac und pathologischer Lügner beschrieben wurde. Hitler inszenierte sich selbst als Verkünder einer neuen Vision, Ordnung und nationaler Größe. Viele sahen ihn vor der Machtergreifung lediglich als Entertainer. Jeff Salzman sieht hier die gleiche Art von Persönlichkeit. Der Unterschied in der modernen und postmodernen Gesellschaft ist, dass Hitler im kollektiven Gedächtnis verankert ist.

Trump als Weckruf

Sollte Trump sich nicht durchsetzen kann er als willkommener Weckruf gesehen werden, vielleicht sogar als Wiederbelebung einer gemeinschaftlichen Vitalität. Eine antagonistisches Muster, welches zugleich den Horizont und die paneuropäische Vision befeuert . Eine wachsende Anzahl von Menschen fühlt sich vom aktuellen System nicht getragen und es fehlt an Visionen, insbesondere durch die wachsende Korruption , welche durch die Citizens United Decision von 2010 in den USA nochmal verstärkt wurde. Trump reitet aber nicht nur auf der Welle des Korruptionsproblems bzw. der Systemkritik, sondern ist eine parallele Entwicklung zu einer antiglobalistischen Bewegung, welche mit dem Brexit, der AfD und dem Front National in vielen Teilen der westlichen Welt anzutreffen ist. Dabei ist die zugrundeliegende Kritik berechtigt, denn das neoliberale System, wie es sich derzeit darstellt, verliert sowohl weite Teile der Bevölkerung als auch die globalen Probleme aus den Augen. Vor allem fehlt es an Identifikationswert. Es gibt innerhalb der Wirtschaftsdynamik zudem wenig Handlungssouveränität. Schauen wir uns die ökologischen Probleme an, dann bereitet es Magenschmerzen, wie man diese Probleme mit der wettbewerbsorientierten Dynamik und Politik bewältigen möchte. Was die regressiven Strömungen zu dem Trugschluss verleitet, dass die nationale Rückbesinnung hier eine Lösung sein könnte mit Sympathie zu diktatorischen Elementen, hinter denen eine personale Identifikation möglich ist und ein Handeln im Sinne des Volkes vermutet wird. Ebenso wie Trump eine Identifikation anbietet, den American Dream wieder aufleben lässt. Die Wichtigkeit dieser geistigen Identifikation kann gar nicht oft genug betont werden. Die regressiv nationale Bewegung ist bereits Teil der Suche nach einer Vision, einer Identifikation – ein Negativabzug der Europäischen Identität. Denn eines muss klar sein – sogenannte nationale Souveränität kann keine Lösung sein für die aktuellen globalen Herausforderungen. Daher kann der Westen Trump als Mahnruf verstehen, bei dem wir die vitalen Kräfte der Spirale rückgewinnen und für höhere Ziele einsetzen müssen. Vielleicht liegen diese ja wirklich in einer Entschleunigung und Rückbesinnung, jedoch nicht mittels Feindbildern und Ängsten, nicht getragen von einem narzisstischen Selbst, sondern mit Hingabe, Beschränkung und Demut – mit einem globalen Bewusstsein. Visionen findet man dieser Tage vor allem in Bürgerintiativen, abseits des politischen Geschehens. Der desaströse Wahlkampf kann auch als Übergang von einem politischen hin zur privaten Verantwortung gesehen werden.

Trump und sein politischer Stil aus integraler Sicht (Nachtrag)

Dieser Artikel entstand während der Wahl Trumps zum US-Präsidenten. Nun (Stand 27.05.17) hat sich etwas klarer herauskristallisiert, dass man tatsächlich davon sprechen kann, dass Trump auf der roten Bewusstseinswelle verankert ist. Der Spiegel (Trump und die Verbündeten Triumph der Scheinheiligkeit) fasste Trumps Besuch in Europa so zusammen:

„Trump ist nicht unmoralisch, das würde voraussetzen, dass er einen Begriff von Moral hat. Er ist vormoralisch. Er tut alles, um zu gewinnen, er ist ein klassischer Hochstapler, ein Wichtigtuer. Er ist kein Christ, wie er gerne behauptet, kein Atheist oder Agnostiker. Seine Politik ist vorchristlich, wie Andrew Sullivan im „New York Magazine“ wunderbar argumentiert.
Wäre es arrogant oder ein politisches Risiko, ihn an die grundsätzlichen Umgangsformen zu erinnern, die im Westen gelten, unter Demokraten?
Trumpismus ist keine Ideologie mit einem theoretischen Fundament, so wie es der Neokonservativismus unter George W. Bush war. Deshalb ist es so niedlich wie vergebens, diesem Mann täglich Widersprüche in seiner Argumentation vorzuhalten oder alte Aussagen auf Twitter. Trumpismus ist das Recht des Stärkeren, des Reicheren, es ist politischer Darwinismus, es ist der Triumph der Scheinheiligkeit und der Gier und der Lüge über die Demokratie.“
Eine Umfrage unter Integralen hat auch ergeben, dass die meisten ihn auf der roten Stufe sehen.

[hr]

Quelle: Podcast von Jeff Salzman https://www.integrallife.com/node/269651

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