Das Jahr 2019 setzt aller Vorraussicht nach den Trend der letzten Jahre fort und wird für weitere Turbulenzen in Europa sorgen. Nicht nur der vorraussichtliche harte Brexit steht ins Haus, sondern auch die Europawahlen im Mai, bei denen womöglich eine andere politische Fahrtrichtung eingeschlagen werden wird. Es würde zu weit führen hier alle Missstände im Detail aufzulisten. Uns soll an dieser Stelle interessieren : Mit welchen Sorgen, Projektionen und Hoffnungen reagiert die Spirale darauf?
Richard David Precht diagnostiziert bei der aktuellen Politik einen „Utopieverlust“. Die Fahrrichtung für Europa ist nicht mehr klar, es herrscht kein Konsens mehr und die politischen Bemühungen sind oft nur taktische Maßnahmen in einem limitierten Zeithorizont. Dabei ist das, was man jeweils unter einer Utopie versteht, stark vom Standpunkt des Betrachters abhängig. Deshalb ist es lohnenswert sich einmal die gesamte Spirale mit ihren Utopievorstellungen anzusehen.
Vorweg ist es wichtig zu betonen, dass kein Mensch nur auf einem Punkt in der Spirale steht, sondern verschiedene Meme in sich trägt und daher auch verschiedene Ängste und Hoffnungen parallel in sich wiederfinden wird. Dennoch gibt es für jedes Mem eine typische Denk- und Handlungsweise und wenn jemand verstärkt um dieses Mem rotiert, so wird vermutlich eine Vorstellung dominant sein.
Wer die gesamte Spirale der Evolution nicht kennt, kann sie sich hier anschauen.
Hoffnung
Im beigen Mem geht es um das nackte körperliche Überleben. Größere Zusammenhänge und längerfristige Zeithorizonte werden hier nicht mitgedacht. Daher sehnt sich das Beige Mem nach Versorgung und Existenzsicherheit. In der aktuellen politischen Lage ist das bedingungslose Grundeinkommen die größte Hoffnung.
Angst
Alles was den Existenzkampf verschlimmert ist hier mit großer Angst besetzt. Bürgerkriegsähnliche Zustände, zunehmender Karrierismus und ein rücksichtsloses politisches Klima bereiten große Sorgen.
Da die Krise Europas an den existenziellen Ängsten rührt hat das beige Mem hier besondere Bedeutung und wird verstärkt in nahezu allen Gesellschaftsteilen aktiviert.
Utopie
Das purpurne Mem ist stark verankert in der Sippe und in einer magisch-animistischen Weltsicht. Es sieht in den unsicheren Zeiten das Anbrechen eines neuen Zeitalters, welches größere Freiheit, Menschlichkeit und Spiritualität verspricht. Viele Theorien wie das Ende des Maya Kalenders oder der Anbruch des Wassermannzeitalters stützen diese Überlegungen.
Endzeitvision
Die Angst ist, dass die destruktiven Kräfte Überhand gewinnen und der Mensch seinem Umfeld und der Natur immer weiter entfremdet wird. Der Klimawandel, Transhumanismus, steigende Technisierung und karmaschädliche Praktiken wie Massentierhaltung werden als Boten des Untergangs gedeutet.
Utopie
Das rote Mem dreht sich um den Aufbruch des eigenen Selbst und ist von seiner Exzellenz überzeugt. Es sieht im Leben einen Kampf, möchte sich durchsetzen und das Leben in vollen Zügen genießen. Es ist ein gewisser Matrix-Neo-Komplex auf diesem Mem angelegt, der das Bewusstsein darüber verleiht, dass man sich auf einem ganz persönlichen triumphalen Abenteuer befindet. Die Hoffnungen gründen auf der Anerkennung der Auserwähltheit und sehnen sich nach wenig Reglementierung, autarkiefreundlichen Strukturen und minimaler moralischer Einmischung.
Endzeitvision
Die Angst ist, dass sich eine Übermacht bildet, welche alle andere unterdrückt und maßregelt. Dieser imaginative „Große Andere“ wird permanent gebraucht, um den heroischen Kampf anzutreten und manifestiert sich beispielsweise in Gedanken über die „Neue Weltordnung“ (NWO) oder einem orwellschen Weltstaat, in dem jeder nur noch eine Nummer ist ohne Persönlichkeit und Gestaltungskraft. Die Angst vor einem dritten Weltkrieg ist damit einhergehend ebenfalls sehr ausgeprägt.
Utopie
Das blaue Mem dreht sich um Ordnung und Gesetz und kommt im wesentlichen in zwei verschiedenen Ausprägungen vor. Zum einen spirituell-religiös und zum anderen weltlich-patriotisch. In der christlichen Religion ist das Bewusstsein, sich in einer Art Endzeit zu befinden immer schon Teil der Glaubenspraxis und ermutigt zu besonders christlichem Handeln. Die Hoffnung ist hier die Erlösung und Ankunft Jesu. In der weltlich-patriotischen Ausprägung ist die Hoffnung die eines starken Gesetzes, welches wieder Respekt und Ordnung garantiert. In der aktuell globalistisch geprägten Welt sind viele Dinge in Unordnung geraten und die Gestaltungskraft der Politik als auch die Achtung vor den Institutionen ist auf einem Tiefpunkt. Daher wünscht sich das blaue Mem einen gemäßigten Rückzug aus Verpflichtungen, welche die Unübersichtlichkeit und Entropie im System weiter verstärken und möchte lieber etwas kleine Brötchen backen, welche dann auf alle gerecht verteilt werden. Die Utopie ist daher ein starker Staat.
Endzeitvision
Im christlichen ist die Angst vor der Zeit des Antichristen dominant. Gelockerte Abtreibungsgesetze, sinkende Moral und eine zunehmende gesellschaftliche Polarisierung verstärken diesen Verdacht. In weltlich-patriotischen Kreisen ist die größte Angst der Untergang des Staates und die damit einhergehende Entrechtung und Enteignung. Es befürchtet einen Bürgerkrieg von Volk gegen Eliten.
Utopie
Das orangene Mem möchte Aufbruch und Fortschritt und sieht in der aktuellen Periode eine einzigartige Gelegenheit viele technische Errungenschaften zu verwirklichen. Einige gehen dabei soweit, dass sie sich den Transhumanismus herbeisehnen. Die technische Vermessung der Welt wird als Fortschritt gesehen und neue Horizonte, beispielsweise der Aufbruch auf den Mars vermitteln ein Gefühl von einer neuen Epoche in der Menschheitsgeschichte.
Endzeitvision
Der Motor der Fortschritts, die Wirtschaft, wackelt gewaltig. Einige sprechen davon, dass das aktuelle Wirtschaftssystem einem Komapatienten unter künstlicher Lebenserhaltung gleicht. Im wirtschaftlichen Zusammenbruch und dem zivilisatorischen Rückschritt in die Steinzeit liegt die größte Angst des orangenen Mems.
Utopie
Das grüne Mem sehnt sich nach einer friedlichen Weltgemeinschaft und sozialen Innovationen. Es sieht in der aktuellen Zeit die große Gelegenheit hier entscheidene Weichenstellungen vorzunehmen um die Chancengleichheit von Mann und Frau, Arbeitnehmern und -gebern, Erster und dritter Welt und vielem mehr anzugleichen. Die Hoffnung liegt in einer neuen Weltordnung, welche Grenzen auflöst und den Menschen universalistisch betrachtet. Die grüne Hoffnung ist ein einheitliches Europa mit klaren humanistischen Werten, welche sich auf alle Einwohner auswirken.
Endzeitvision
Die größte Angst des grünen Mems ist der Klimawandel. Aber auch starre Grenzen und konkrete Unterscheidungslinien werden als sehr bedrohlich wahrgenommen und vermitteln ein Gefühl des Rückschritts. So ist die Angst vor einem Fortbestand von Nationalstaaten, Gruppierungen und Diskriminierungen ausgeprägt und verstärkten den Wunsch, die wohlgemeinte Belehrung durch radikale Taten zu untermauern. So sehen einige grüne sich als Gerechtigkeitskrieger für eine bessere Welt und sind gewillt dies mit aller Gewalt zu erkämpfen. Die Gewalt richtet sich hier gegen sämtliche Gruppen, welche sich „gesunden Menschenverstands“ (oder konkret operationalen Denkens) bedienen, da dieser scheinbar in Widerspruch zu den universalistisch-abstrakten Idealen steht (formoperationales und frühes schaulogisches Denken).
Utopie
Das gelbe Mem sieht die gesamte Spirale und möchte sich gewinnbringend und fördernd einbringen. Die Hoffnung ist ein Europa, welches die Vielfalt der Nationalstaaten anerkennt und die transnationalen Probleme gemeinsam anpackt. Da dies in einer demokratischen Gesellschaft nur möglich ist, wenn die Bevölkerung dem Zustimmt sieht es, dass der von grün eingeschlagene Weg der Erziehung und Auflösung der Grenzen destruktiv ist. Ebenso ist der autoritär repressive Weg und die Hoffnung auf einen Führer regressiv. Gelb möchte die Pathologien der gesamten Spirale zähmen und sehnt sich nicht mehr nach dem „Recht haben“ und der damit einhergehenden Macht. Daher werden in einem utopischen Europa Kompromisse gefunden und die gesamte Spirale mitgedacht. Die gelbe Hoffnung ist ein vielfältiges Europa mit progressiven Werten, aber auch Toleranz und Wertschätzung, in welchem selbstbestimmte Autarkie und viele Lebenswelten möglich sind. Ebenso erhofft sich Gelb eine offene transparente Wissensgesellschaft.
Endzeitvision
Das gelbe Mem sieht mehr als die anderen Meme die Befindlichkeiten der früheren Meme und sieht die zunehmenden Verwerfungen. Die größte Angst des gelben Mems ist der Verlust der transparenten Wissensgesellschaft. Daraus resultierend befürchtet Gelb eine weitere Polarisierung und somit bürgerkriegsähnliche Zustände, bei denen ein Aufeinanderzugehen und Wertschätzen nicht mehr möglich ist, sodass die gesamte Spirale pathologisch wird. Zugleich ist es sich der anderen Gefahren bewusst ohne sich davon einnehmen zu lassen : zunehmende soziale Gewalt, Entfremdung, schwächelnde Institutionen, drohender Wirtschafts- und Klimakollaps. Das gelbe Mem hat die Fähigkeit sich von all dem zurückzuziehen und auf sich selbst zu besinnen. In einer zunehmenden Krisenzeit ist das gelbe Mem allerdings mehr denn je gefragt, sich vermittelnd einzusetzen.
Utopie
Das türkise Mem sieht ebenfalls die gesamte Spirale und möchte die vielfältigen Erlebnisräume erhalten. Die Hoffnung ist politisch betrachtet sehr nahe am gelben Mem, d.h. Wertschätzung von nationaler Vielfalt bei gleichzeitiger Solidarisierung bezüglich transnationaler Probleme. Das „zähmen“ der Pathologien geschieht vermehrt durch Hingabe und sich Einlassen bei gleichzeitiger Wertschätzung anderen Memen gegenüber, als durch Wissensvermittlung und nüchterner Diskussion. Da das besondere Augenmerk von Türkis auf spirituellem Wachstum beruht wird eine Gesellschaft erhofft, welche dies anerkennt. Die Utopie ist hier ähnlich wie auf Purpur, dass das neue Europa dem Geist und den Mitmenschen gegenüber freier und toleranter auftritt und sich von der Vielfalt des menschlichen Seins berühren lässt. Im eigentlichen Sinne ist Türkis postpolitisch, das politische übersteigend und sieht das Leben mit seinen Höhen und Tiefen als eben jenen Wachstumsraum, der sich bereits nach geistigen Gesetzen ausrichtet. Die Utopie liegt hier in einer Gesellschaft, welche das erkennt und kollektiv zum Fortschritt in Form von Harmonie und Balance nutzt.
Endzeitvision
Das türkise Mem befürchtet vor allem von einer allzu materialistisch geprägten Wissenschaftsgesellschaft erdrückt zu werden und sieht in der Reduktion von Bewusstsein auf neuronale Prozesse den schleichenden Untergang alles Erhabenen. Der Horizont des spirituellen Wachstums wird durch heiße gesellschaftliche Verwerfungen und eine absolute Wissenschaftsideologie zugezogen und somit wird das Erlebnis von Mensch zu Mensch zunehmend zu einem Wettbewerb, welcher die geistigen Gesetze, nach denen sich Türkis vermehrt ausrichtet, enorm erschweren. Es sieht jedoch auch in dieser Dystopie einen dialektisch-spirituell sinnhaften Prozess und ist in der Lage daran konstruktiv mitzuwirken. Natürlich sind auch alle anderen bedrohlichen Szenarien für Türkis von Bedeutung, aber deutlich relativiert in ihrer Bedeutung für das eigene Ich, da das Bewusstsein über den Tod hinausreicht.
Die lineare Abfolge der Stufen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass alle Hoffnungen und Ängste zum Teil ihre Berechtigung haben.
Diese kurze Darstellung ist gewiss nicht erschöpfend. Konstruktive Anmerkungen und Ergänzungen sind jederzeit willkommen.
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