In Europa ist die Astrologie die am weitesten verbreitete Typologie. Im Rahmen des International Social Survey Programme (ISSP) wurde in den Jahren 1998-99 eine repräsentative Umfrage in 16 Ländern durchgeführt, bei denen u.a. auch die Astrologiegläubigkeit erhoben wurde. Alle 20.207 befragten Personen stuften die Aussage „Das Sternzeichen bzw. das Geburtshoroskop eines Menschen hat einen Einfluss auf den Verlauf des Lebens“ auf einer 5-stufigen Ratingskala von „stimmt sicher“ bis „stimmt sicher nicht“ ein. Die Ergebnisse zeigen die höchste Astrologiegläubigkeit in Lettland und Bulgarien. In beiden Ländern halten es ca. 55% der Befragten für zumindest wahrscheinlich, dass das Sternzeichen bzw. das Geburtshoroskop das menschliche Leben beeinflusst. Danach folgen die Tschechische Republik, die Slowakei, die Schweiz, Russland und Westdeutschland mit einer Zustimmung (Antwort „stimmt sicher“ oder „stimmt wahrscheinlich“) von über 40% zu astrologischen Aussagen. In Ostdeutschland hingegen hielten nur mehr 23,7% der Befragten die Aussagen für wahrscheinlich, und nur 3,5% meinten, sie stimmt sicher. Schlusslichter der befragten Länder in Punkto Astrologiegläubigkeit sind Kanada, Holland und Irland.
Astrologie als Narrativ
Der Mensch ist ein mythopoetisches Wesen. Erzählungen werden nicht nur gebildet, um Erfahrungen mitzuteilen, sondern auch und zuerst, um diese zu gestalten. Besonderheit ist laut Jerome S. Bruner lediglich das Vehikel für die Entfaltung einer Erzählung, hinter denen sich scheinbar typische Geschichten verkörpern. So kann man sagen, dass auch die Astrologie zu solch einem Vehikel wird, dessen manch einer sich bedient, um sein Leben und seine Beziehungen zu gestalten. Aus integraler Sicht wäre dies ein purpurnes Fundament, welches die Vitalität des Menschen bestärkt,strukturiert und ihm eine innere Geborgenheit vermittelt – ein Vorläufer, auf dem sich das Ego bildet (rotes Mem).
Astrologie im Alltag
Nahezu jeder Europäer kommt früher oder später in Kontakt mit der Astrologie im Alltag. Ob in der Familie oder beim Date – es gibt oftmals kleine charmante Andeutungen, die natürlich selten hart vertreten werden. Wenn jedoch ein Familienmitglied beispielsweise die Bedeutung der Astrologie überstrapaziert, dann kann das für die Betroffenen schnell zu einer ernsthaft problematischen Auseinandersetzung mit der Astrologie führen. Die Schriftstellerin Eva Menasse erinnert sich in ihrer Familie an eine Tante namens Trudy, welche jede Gelegenheit nutzte, von der Astrologie zu sprechen. Sie begrüßte neue Bekanntschaften immer mit dem Ausruf „Stier hoch drei!“:
Frauen reagierten immer, wenn Tante Judy »Stier hoch drei« sagte. Die Mehrzahl war irritiert, weil sie es auf Anhieb nicht verstand, was Tante Judy die ersehnte Gelegenheit schenkte, ihren unerträglichen Witz zum x-ten Mal zu erklären (Sternzeichen Stier, Aszendent Stier, ständig pleite, auf Wienerisch »stier«). Doch einmal antwortete eine Rothaarige: »Doppelter Skorpion und zum Glück gut geerbt.«
Da verfinsterte sich Tante Judys Miene. Sie hasste Skorpion-Frauen, wie wir alle wussten, die wir ja auch ihren Stier-Spruch zum Erbrechen oft gehört hatten. Sie protestierte wütend, wenn wir ihre Abneigung dahingehend vereinfachten, dass sie alle Skorpione ablehne. »Um Himmels willen, ein Zwölftel der Menschheit«, zeterte sie, »nein, nein, nur die Frauen.« – »Also nur ein Vierundzwanzigstel der Menschheit«, stellte meine Schwester messerscharf fest, »und was ist mit den Löwen, Aszendent Schütze?« – »Bei denen bin ich vorsichtig«, gab Tante Judy zurück, »das hat nichts mit nicht mögen zu tun.«
Der Einfluss der Tante entwickelt sich für Eva Menasse zu einer echten Herausforderung:
Deshalb habe ich schon als Kind nicht reagiert, wenn ich nach meinem Sternzeichen gefragt wurde. »Weiß ich nicht«, murmelte ich mürrisch, und wenn es mir jemand triumphierend sagte – es sind fast immer Frauen, die zu allen Monaten die Tierkreiszeichen wissen –, dann sagte ich unfreundlich: »Bei uns zu Hause glauben wir an so was nicht.« Das, aus Kindermund, bringt die Leute meistens zum Schweigen. Doch in Wahrheit wurde in meiner Familie ein wahrer Krieg der Sterne geführt, ein erbitterter Kampf der Aufklärung gegen den Aberglauben. Das führte unvermeidlich dazu, dass wir mehr über Astrologie wussten als alle meine Freundinnen, die einander im Schulbus kichernd ihre Horoskope vorlasen.
Hier wird deutlich, dass auch im Konflikt und in der Ablehnung der Einfluss des Themas zunimmt. Man könnte neuropsychologisch sagen, dass hier entsprechend Verknüpfungen hergestellt werden nach dem Motto „Denken sie nicht an einen rosa Elefanten“.
Wer einmal an Astrologie glaubt, ist schwer davon abzubringen, so schreibt auch Eva Menasse weiter :
…was haben wir uns angestrengt, sie zu widerlegen, zu verunsichern, zu bekehren! Das begann bei der Frage des Zeitpunkts. Die Geburt meiner Schwester war eingeleitet worden, wegen Beckenendlage. »Hätten die mich kommen lassen, wie ich wollte, wäre ich Krebs«, giftete meine Schwester, »ein ganz anderer Mensch, deiner Meinung nach!« »Leider wissen wir nicht, wie du dann gewesen wärst«, antwortete Tante Judy milde. »Wenn – dann, nicht wahr?« »Aber man ist doch schon im Bauch ein Mensch«, versuchte ich es aufs Neue, »wenn schon, müsste man doch die Zeugung…«
»Zeugungshoroskope fändest du plausibler?«, fragte Tante Judy und sah mich pfiffig an. »Nein«, schrie ich, »aber warum fragst du?« Und dann hatte sie mich wieder einmal, diese Meisterin einer Logik, von der ich wusste, dass sie irrsinnig war, was ich ihr aber nie beweisen konnte.
Die irrationalen Behauptungen gewinnen ungewollt an Realität:
So eine Kindheit prägt einen, genau so, wie die meisten Menschen noch immer unübersichtliche Euro-Beträge in D-Mark oder Schilling umrechnen. Sobald ich den Geburtstag von jemandem erfahre, flüstert ein inneres Stimmchen: »Frühe Waage.« Oder: »Mittlere Jungfrau.« Und natürlich, sosehr ich dagegen ankämpfe, bedeutet das etwas für mich, so wie manche Menschen Zahlen als farbig empfinden. Mein erstes Horoskop habe ich dennoch erst viele Jahre später erstellen lassen, als Tante Judy schon lange nicht mehr lebte.
Die komplette Story kann man hier lesen. Begreift man, dass auch in der Verneinung eine Beeinflussung liegt, so werden die oben genannten 40% der Studie in Westdeutschland nochmals fett unterstrichen. Eva Menasse könnte zwar behaupten, dass die Astrologie „Sicher nicht stimmt“ aus intellektueller Einsicht oder gar Rebellion, doch so einfach ist die Frage, ob ein Einfluss vorliegt nicht zu beantworten. So schrieb auch Max Frisch: [quote]„Im gewissen Grad sind wir wirklich das Wesen, das die anderen in uns hineinsehen, Freunde wie Feinde. Und umgekehrt! Auch wir sind die Verfasser der anderen: wir sind auf heimliche und unentrinnbare Weise verantwortlich für das Gesicht, das sie uns zeigen, verantwortlich nicht für ihre Anlage, aber für die Ausschöpfung dieser Anlage…Wir halten uns für den Spiegel und ahnen nur selten, wie sehr der andere seinerseits eben der Spiegel unseres erstarrten Menschenbildes ist, unser Erzeugnis, unser Opfer.“[/quote]
Die Astrologie in der Wissenschaft
Die Astrologie ist mit der modernen Wissenschaft, vor allem der Astronomie unvereinbar und wird daher als Pseudowissenschaft deklariert. Sie konnte in keiner Studie, auch in den von Astrologen entworfenen, nachgewiesen werden. Zudem sind viele Aussagen in sich selbst ein Widerspruch. So verschiebt sich beispielsweise anhand der Präzession langsam der Frühlingspunkt, was dazu führt, dass die Sternzeichen sich mit diesem verschieben und heutzutage ein im Widder geborener Mensch eigentlich vom Sternzeichen Fisch wäre. Doch Präzession wird von tropischen Astrologen (die westliche lesart ist tropisch) in diesem Zusammenhang komplett ignoriert. Dennoch wird an anderer Stelle von einem Wassermannzeitalter gesprochen, was aufgrund der Präzession anbrechen soll. Auch ist fraglich, wie denn astrologisch ein Mensch keinen Aszendenten haben kann, wenn er am Nordpol geboren ist beispielsweise. Derlei Ungereimtheiten häufen sich, je näher man hinsieht. Da die wissenschaftliche Unhaltbarkeit der Astrologie in unseren Breiten akzeptiert ist, erspare ich weitere Details zugunsten des Leseflusses.
Psychologisch ist die Wirkung der Astrologie durch folgende Effekte zu erklären:
[toggle title_open=“Placebo Effekt“ title_closed=“Placebo Effekt“ hide=“yes“ border=“no“ style=“default“ excerpt_length=“0″ read_more_text=“Read More“ read_less_text=“Read Less“ include_excerpt_html=“no“]Wie auch in Medikamentenstudien immer wieder augenscheinlich wird ist der Mensch fähig allein durch seine Einbildung Effekte hervorzurufen. So klagen viele Teilnehmer solcher Studien über angebliche Nebenwirkungen, obwohl sie das Placebo-Medikament verabreicht bekommen haben (sie haben sich die Nebenwirkungen vorher durchlesen müssen). Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass der Geist auf die Materie wirkt (mehr dazu hier). Dieser Mechanismus kann auf die Astrologie übertragen werden.[/toggle]
[toggle title_open=“Barnum Effekt“ title_closed=“Barnum Effekt“ hide=“yes“ border=“no“ style=“default“ excerpt_length=“0″ read_more_text=“Read More“ read_less_text=“Read Less“ include_excerpt_html=“no“]
Der Barnum Effekt beschreibt die Tatsache, dass nahezu jede Person sich in einem allgemein gehaltenen Text wiederfindet. Sind die Aussagen schwammig genug, so ordnet der geneigte Leser diese entsprechend in sein Leben ein.
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[toggle title_open=“Illusorische Korrelation“ title_closed=“Illusorische Korrelation“ hide=“yes“ border=“no“ style=“default“ excerpt_length=“0″ read_more_text=“Read More“ read_less_text=“Read Less“ include_excerpt_html=“no“]
Chapman und Chapman unternahmen in den sechziger Jahren eine Reihe von Versuchen und stellten fest, dass viele Korrelationen die die Versuchspersonen herstellten illusorischer Natur sind. Shweder (1977) meinte, dass Urteile über das gemeinsame Auftreten von Persönlichkeitseigenschaften einzig auf die semantische Ähnlichkeit der Eigenschaftsbegriffe zurückzuführen sind. So glaubten Laien genauso wie Persönlichkeitspsychologen, dass Extraversion und Führungseigenschaften eng zusammenhängen, obwohl die tatsächliche Korrelation zwischen den Konstrukten beinahe Null ist. So schreibt Hergovich (die Psychologie der Astrologie, S. 187):
Nehmen wir an, ein Astrologe geht aufgrund der astrologischen Theorie davon aus, dass Planeten in ungeradezahligen „positiven“ Tierkreiszeichen ein Indikator für Extraversion sind. Hat der Astrologe in seiner Praxis überhaupt die Möglichkeit, eine solche These praktisch zu überprüfen? Dean, Kelly und Mather (1999) bringen folgendes Zahlenbeispiel:
Planeten in positiven Zeichen 2 9 4 6 9 9 8 4 5 1 Extraversionswert 6 1 9 1 7 4 9 4 3 3 Wie hoch würden Sie den Zusammenhang qualifizieren? Das korrekte Zusammenhangsmaß wäre der Korrelationskoeffizient, der zwischen -1 (entgegengesetzt) und +1 (die astrologische Hypothese wäre hier zutreffend) liegen kann. Tatsächlich können Menschen derartige Zusammenhänge sehr schlecht schätzen. In obigem Beispiel beträgt die Korrelation 0,001. Es besteht also absolut kein Zusammenhang, die assoziative Verbindung zwischen den sogenannten „positiven“ Zeichen und der Extraversion mag für den Astrologen aufgrund der semantischen Assoziation von positiven Zeichen und Extraversion aber so hoch sein, dass tatsächlich ein illusorischer Zusammenhang gesehen wird, wo keiner vorhanden ist.
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[toggle title_open=“Kognitive Täuschungen“ title_closed=“Kognitive Täuschungen“ hide=“yes“ border=“no“ style=“default“ excerpt_length=“0″ read_more_text=“Read More“ read_less_text=“Read Less“ include_excerpt_html=“no“]
Kahnemann und Tversky beschäftigten sich 1973 mit dem menschlichen Urteilsprozess und kamen zu dem Schluss, dass der Mensch besonders in unsicheren Situationen „kognitive Scheuklappen“ aufsetzt und auf möglichst einfache plausible Schemata zurückgreift.
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Doch wie lässt sich die Kluft zwischen den Überzeugungen der Astrologieanhänger und den wissenschaftlichen Forschungsbefunden erklären? Wie am Beispiel Eva Menasses zu sehen ist die Frage der Astrologiegläubigkeit nicht in erster Linie ein rationaler Prozess, sondern vor allem ein sozialer Prozess. Dieser hat viel damit zu tun, wie ich von anderen gesehen werde (also ein intersubjektiver Schöpfungsprozess) und auch mit Achtung und Wertschätzung des anderen (bleibt die entsprechende Rückmeldung des Selbstbildes des anderen aus, so fühlt er/sie sich womöglich gekränkt).
Eine integrale Perspektive auf die Astrologie
Die Astrologie gibt es schon seit mindestens 410 v. Chr. und war auch in Griechenland sehr populär, welches die geistige Wiege des heutigen Europas ist. Ausgehend von einer elitären Beratung für Könige fand es im Verlauf eine breite Zustimmung in der Bevölkerung der europäischen Hochkulturen. Man kann das astrologische Denken durchaus als magisches Denken bezeichnen, denn es zieht irrationale Zusammenhänge und sucht Bedeutung in allen Personen und Dingen um sich herum. Die Astrologie bildet somit aus Sicht der Spiral Dynamics das purpurne Fundament der europäischen Geistesgeschichte. Darauf aufbauend kam es vermehrt zur Identität mit Machtgöttern (rotes Mem, beispielsweise Alexander der Große um *356 v. Chr., welcher sich mit dem Kriegsgott Achill gleichsetzte). Anschließend fand eine monotheistische Religion einzug (in unseren Breiten vor allem das Christentum, blaues Mem), welche die Astrologie dogmatisch als Gotteslästerung unterdrücken wollte, was ihr jedoch letztlich nicht gelang. Lange Zeit später fand dann das orangene Mem mit der Aufklärung seinen Durchbruch und betrachtete die Astrologie als irrationaeln Aberglauben. Aus dieser rein wissenschaftlichen Sicht manövrierte man sich aber auch zusehends in eine rational dominierte Weltsicht in der das mythopoetische Wesen des Menschen erstickt wurde. Mit dem sich daraufhin entwickelnden grünen Mem und dem ihm innewohnenden pluralistischen Denken wurde erneut viel Wert auf Individualität gelegt, wobei auch irrationale Themen wieder interessant wurden. Hier beginnt nun eine Entwicklung, die Ken Wilber „Boomeritis“ nennt: Die pluralistische Offenheit des grünen Mems wird zu einem Einfallstor für prärationale narzisstische Bewusstseinsinhalte (Weil alles sein darf und nichts verurteilt wird).
Astrologie in der postmodernen Kultur
In der postmodernen Kultur gab und gibt es viele Entwicklungen die der Astrologie freundlich gesinnt sind (z.B. Die New Age Bewegung und das vielzitierte „Wassermannzeitalter“). So ist das postmoderne grüne Mem zu einer Wiederbelebung von astrologischen Inhalten geworden, welches man auch viel in der Kultur beobachten kann, z.B. bei Tattoos. Oftmals wird es ganz ungeschminkt ausgesprochen, so singt Thees Uhlmann ganz direkt „(…) Im Frühling ’74, Sternzeichen Widder (…)“ (Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf). Meist werden astrologische Bezüge aber versteckt symbolisiert, denn das Thema ist sehr ambivalent und zugleich ein Tabuthema in höheren gesellschaftlichen Kreisen, da es sich dem rational-westlichen Selbstverständnis entzieht. Diesen Zwiespalt brachte auch Jim Morrison auf den Punkt, als er sagte :
Morrison: „I don’t know how many of you people believe in astrology“
Frau aus dem Publikum: „You’re a sagitarrius“
Morrison: „That’s right – I am a sagitarrius – the most philosophical of all signs. But anyway I don’t believe in it“
Frau aus dem Publikum:“I don’t either“
Morrison:“I think it’s a bunch of bullshit“
(hier zu hören)
Diese widersprüchliche Haltung gegenüber der Astrologie verdeutlicht zugleich ihr postmodernes Problem, was nach Ken Wilber ein typisches Problem der Baby-Boomer Generation ist: die prärationalen Bewusstseinsinhalte werden bereitwillig hereingelassen und am rationalen Zensor vorbeigeschleust. Somit werden sie für rational-ethische Argumente ungreifbar und als Persönlichkeitsrecht verteidigt, was zu einer pluralistischen Verwässerung der westlichen Wertegesellschaft führt und sich in dem Anstieg des Narzissmus innerhalb der Gesellschaft zeigt. Die zunächst positiven grünen Impulse alles zuzulassen und sich als Person in seiner Vielfalt und Widersprüchlichkeit zu erfahren, werden in der Stagnation zum grünen Dilemma (mean green mem, zu deutsch: bösartiges grünes Mem). Erst das gelbe Mem bringt wieder Ordnung in dieses wertungsfreie Nebeneinander, indem es beginnt die Bewusstseinsentwicklung zeitlich einzuordnen und die Konsequenzen mitzudenken.
Problematische Schnittstellen zwischen integraler Theorie und Astrologie
An dieser Stelle werden auch die Probleme der Astrologie deutlich und warum es in die Irre führt, sich den rationalen Widerständen komplett zu entledigen. Zum Beispiel wird jede Ethik untergraben, wenn alles nebeneinander gleichberechtigt bestehen darf. Gilt ein Löwe als egozentrisch und herrisch so darf er es aus Sicht der Astrologie ruhig sein. Unnötig zu erwähnen, dass eine solche Identifikation mit diesem Symbol der eigenen Entwicklung schaden kann, sofern man sich diesen narzisstischen Verlockungen denn hingibt. Ebenso umgekehrt – wenn jemand als Wassermann als frei und freundschaftlich bezeichnet wird, so kann dies den Blick auf den eigentlichen Narzissmus dahinter versperren und es kann zu einer typischen Prä-Post Verwechslung kommen, indem man ein rücksichtsloses-egomanes Verhalten als „besonders frei und weit Entwickelt“ assoziiert. Es gibt unzählige weiterer Beispiele von Fehlurteilen innerhalb dieses Systems.
Die Astrologie hat durch ihre ewige Wiederkehr im Rad der Sterne und dem gleichberechtigten Nebeneinander keinerlei Evolution und keine echte Vision anzubieten. Eine Vision meint auch eine Vorstellung und Ideal, zu dem man sich hinentwickelt. So wäre dies in der integralen Theorie beispielsweise der Abbau von Egozentrismus und die Zunahme von Selbstbewusstsein. In der Astrologie werden die Qualitäten per Geburt verteilt und es gibt innerhalb dieses Assoziationsgebäudes wenig Entwicklungsimpulse, welche über das Ego und Selbstbild hinaus gehen (einzig der leere Kreis in der Mitte des Horoskops deutet darauf hin, dass hinter den Selbstbildern alles eins ist, wird jedoch von Astrologen nicht konsequent thematisiert). Wir sehen also warum die Astrologie in das purpurne Mem eingeordnet wird: Sie hält keinen rationalen Kriterien stand (orange) und sie bestärkt Egostrukturen (purpur, rot) ohne hinreichend auf das gemeinsame zugrundeliegende (blau und folgende) zu verweisen.
Dennoch muss man sagen – die integrale Theorie bietet natürlich auch Platz für Typologien. Sie ist ein vertikales Entwicklungsmodell, wohingegen Typologien horizontaler Natur sind, also grundsätzlich auf allen Ebenen zu finden sind. Die Astrologie ist jedoch aus zweierlei hinsicht fragwürdig als eine solche Typologie anerkannt zu werden:
- Sie bestimmt den Typen aufgrund des Geburtszeitpunktes unveränderlich, was gegen Entwicklung des Individuums spricht und eine Diskriminierung darstellt (Menschen können ihren Typ im Laufe des Lebens ändern)
- Sie steht mit vielen Aussagen im Widerspruch zum Evolutionsgedanken der Spirale und erkennt ihr wesentliche Werte nicht an (beispielsweise ein Abnehmen von Egozentrismus, Freiheitsliebe als grundlegender Eros jedes Individuums)
Astrologie in der Verneinung
Und trotz allem – verwehren wir uns der Astrologie komplett, so bekommen wir Probleme in der westlichen Gesellschaft. Denn wenngleich viele zustimmen, dass an der Astrologie nichts dran ist, so fühlen sich auch mindestens ebenso viele gekränkt, wenn man ihr Sternzeichen völlig ignoriert. Das rührt nach integraler Lesart daher, dass wir uns dem prärationelen Inhalten unseres Bewusstseinsfeldes zwar meist nicht vollbewusst sind, aber sie dennoch eine narzisstisch-vitalisierende Wirkung in uns ausstrahlen. Sie vermitteln eine gewisse Geborgenheit und für manch einen auch Sinn. Daher ist es für das integrale Denken nötig die Astrologie zur Sprache zu bringen und sich des ihr innewohnenden Narzissmus bewusst zu werden, den das grüne Mem gern übersieht. Eine integrale Aufgabe könnte sein, die Astrologie in ihrer Geltung zu beschränken, sie aber gleichzeitig nicht völlig zu verwerfen, denn sie ist ein beziehungsstiftendes Element, dessen wir uns nicht in letzter Konsequenz verwehren können ohne ein Gefühl von Heimatlosigkeit und Kälte.
Literaturtipps zur Vertiefung:
A. Hergovich : Die Psychologie der Astrologie
K. Wilber : Boomeritis: Ein Roman, der dich befreit
[hr]
Quellen:
Andreas Hergovich, Psychologie der Astrologie
Eva Menasse, Artikel in der Zeit von 2006, http://www.zeit.de/2006/52/Sterne-Menasse
Max Frisch in seinem Tagebuch, http://wuevita.de/index.php?action=search&site=show_event&set=&e_id=13228&d_id=27124
E.Wunder, 2000 „Ist Astrologie Glaubenssache? Neue international vergleichende Bevölkerungsumfragen zur Astrologie“
Ob man nun dafür oder dagegen ist – es erhebt sich EINE zentrale Frage:
Warum wenden immer wieder Menschen so viel Zeit auf (z.T. viele, viele Stunden), um der Welt zu verkünden, dass sie mit einem bestimmten Thema nichts anfangen können?
Ich würde so etwas einfach links liegen lassen und etwas sinnvolles tun.
Es ist schlicht unwahr, dass die Astrologie
„den Typen aufgrund des Geburtszeitpunktes unveränderlich, was gegen Entwicklung des Individuums spricht“ einstuft. Siehe Mondknoten, Aszendent, Chiron usw., aber auch jedes Sternzeichen selbst bringt individuelle karmische Lasten und Entwicklungsaufgaben.
Betrachtet man den Typus eines Menschen mit der Brille der Astrologie als von astrologischer Konstellation her bedingt ist es schwer zu sagen, jemand wechsle seinen Typus. Das Sonnenzeichen steht mit dem Geburtszeitpunkt aus Sicht der Astrologie fest, kann lediglich durch Radixprogressionen einen Verlauf vom Startpunkt her annehmen. Definiert man das was den Typus astrologisch ausmacht weiter (bezieht also Mond usw. mit ein), so ist das Problem verlagert aber nicht in seinem Rahmen veränderlich. Das soll nicht bedeuten, dass es in diesem astrologischen Rahmen nicht auch Entwicklungspotenzialprognosen gibt, wie Sie beispielsweise mit dem Mondknoten andeuten oder wie man es auch in der Münchener Rhythmenlehre findet, doch der Grundrahmen steht fest und dieser Knoten lässt sich kaum lösen hin zu einer selbstbestimmten oder zumindest unvoreingenommenen Selbsterkundung. Der Versuch die Astrologie als Poesie zu begreifen oder als Möglichkeit, die assoziativen Resonanzen des eigenen Konstruktes sichtbar zu machen ohne sich fest darin zu verorten sind Versuche die Astrologie aus ihrer Schicksalhaftigkeit zu befreien und von der immer wieder unzureichenden wissenschaftlichen Evidenz zu rehabilitieren.